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CD LUIGI ROSSI: LA LYRA D’ORFEO; ARPA DAVIDICA – Arien aus italienischen Kantaten des 17. Jahrhunderts

21.11.2019 | cd

CD LUIGI ROSSI: LA LYRA D’ORFEO; ARPA DAVIDICA – Arien aus italienischen Kantaten des 17. Jahrhunderts; ERATO

Die Geschichte dieses Albums ist einigermaßen ungewöhnlich und daher hier der Spruch gelten: Manchmal führen Umwege zu einem besseren Ziel. Die in Frankreich lebende Österreicherin und Diva der Alten Musik Christina Pluhar hat 2005 Kantatenmusik des Italieners Luigi Rossi (auch zwei Arien aus der Oper „Orfeo“ sind dabei) mit ihrem Ensemble L’Arpeggiata und Veronique Gens als Sopransolistin aufgenommen. Ein Rechtsstreit verhinderte lange die Veröffentlichung dieses schon wegen der sängerischen Leistung von V. Gens am Zenit ihrer Möglichkeiten einzigartigen in der Abbaye Saint-Michel en Thiérache entstandenen Programms. Als die unangenehme juristische Sache beigelegt war, entschied sich Frau Pluhar für ein umfassenderes Luigi Rossi Projekt. Also durchstöberte sie kurzerhand alle 300 erhaltenen Kantaten des Meisters aus Apulien, das heißt Tonnen an staubigen, schwer lesbaren Folianten, um die schönsten Arien der Recherche unter dem Titel „Arpa Davidica“ den Solistinnen Céline Scheen (Sopran) und Giuseppina Bridelli (Mezzo) als auch den Countertenören Philippe Jaroussky, Jakub Józef Orlinsky und Valer Sabadus anzuvertrauen. Diese Einspielungen entstandenen im April und Mai 2019 in Alfortville Frankreich und werden nun  gemeinsam mit der älteren veröffentlicht. 

Und schon haben wir die Erklärung für dieses außerordentlich schöne Album. Bei 21 Nummern daraus handelt es sich außerdem um CD-Weltpremieren. Zum Verständnis trägt bei, dass es in den Manuskripten Rossis kaum Hinweise zur Instrumentalbegleitung gibt. Daher hat es Christina Pluhar selbst unternommen, die instrumentalen Arrangements und die Harmonisierung der Basslinien auf Basis historischer Nachforschungen und Hinweise zu besorgen. Für die vorliegende Produktion hat sich Christina Pluhar für ein farbenprächtiges Instrumentarium inklusive zwei barocken Tripelharfen, Theorbe, Kornett, Barockvioline, Lirone (Lira da Gamba), Barockgitarre, Cembalo, Orgel und Schlagzeug entschieden. Die Musik Rossis (seine Oper „Orfeo“ und einige Oratorien mit William Christie am Pult habe ich in den 90-er Jahren kennen und schätzen gelernt) bietet frühbarocke lyrische Wonnen. Es sind diese harmonisch so unglaublich fein ziselierten melodischen Eingebungen, die den Hörer für sich gefangen nehmen; teils sind die Sätze in den vokalen als auch den instrumentalen Linien vertrackt virtuos verziert und dennoch immer fluide und mediterran duftig. 

Dieser Rossi diente als Musiker zunächst den Borghese und dann den Barberini in Florenz und Rom. 1646 kam Rossi nach Frankreich und wurde unter der Regentschaft von Kardinal Mazarin der angesehenste Komponist am Hofe. Es existiert eine Handschrift mit 39 Lieblingsstücken des jungen Ludwig XIV., 10 davon stammen aus der Feder Rossis. Rossis Kammermusik gehörte damals überhaupt zum täglichen Brot höfischer Unterhaltung in Rom und Paris und war weit verbreitet. Thematisch drehte es sich – wie kann es anders sein – beinahe immer um die Liebe in einem antikischen Sinn, also als „unwiderstehliche und häufig zerstörerische Leidenschaft, die die Herzen der Jugend durchdringt und verbrennt. Die Liebe als Krieg, in dem die Begegnung von Mann und Frau den Mann schwächt und ihm die Lebensenergie und Kraft nimmt. Die weiblichen Figuren gewinnen dadurch an Stärke, Entschlossenheit und Raffinesse.“ So sieht es zumindest Alessio Ruffati in seinem Aufsatz „Signor Luigi“. Aber keine Angst, wir haben es hier nicht mit Salome von Richard Strauss zu tun. Die Musik erzählt in überirdisch scheinenden Klängen von dieser Liebe, oder der Vorstellung davon in einer Zartheit, sanften Schwermut oder bitterer Eifersucht. Da fühlt der Hirten Aminta (auf der CD  Mezzosopranistin Giuseppina Bridelli) in der Kantate „Mostro con l‘ali nere“ seine Seele heimgesucht von einem schwarzgeflügelten Ungeheuer mit Schlangenmähne und frostiger Hand. Allerdings als ihm seine angebetete Clori einen Kuss gibt, atmet alles wieder hellste Freude. Eine komische Kantate gibt es auch zu entdecken inmitten all dieser himmlischen Empfindsamkeit. In „Dopo lungo penare“ wird der süße Schmerz vom Protagonisten in Spott und Hohn gegossen. 

Neben der feinen Legatokunst der Veronique Gens ist es vor allem der junge polnische Countertenor Jakub Józef Orlinsky, der das Album vokal zum großen Ereignis werden lässt. Er kann wohl als der beste und interessanteste unter den heute 30-jährigen Countertenören gelten. Seine Stimme ist bestens fokussiert, hat auch in der tiefen Lage Kern und Strahl, trägt mit höchster Agilität und Selbstverständlichkeit die schwierigsten Verzierungen vor und verfügt über ein exquisit viriles Timbre. Soeben ist auch sein zweites Soloalbum „Facce d’Amore“ mit dem Orchester Il Pomo d‘Oro unter der musikalischen Leitung von Maxim Emelyanychev beim Label Erato erschienen. Die künstlerische Qualität insgesamt bewegt sich auf einem sehr hohen Niveau. Philippe Jaroussky brilliert mit der ihm eigenen Samtstimme und Musikalität, Céline Scheen und Giuseppina Bridelli sorgen für  passionierte theatralische Akzente, während Countertenor Valer Sabadus die elegischen Phrasen mit der berühmten Träne im Ton umflort.

Christina Pluhar ist diese Musik spürbar ein Herzensanliegen, in ihrer künstlerischen Gediegenheit und Sorgfalt lässt sie mit ihrem Ensemble das ganze frühbarocke höfische Rom aufleben. Für alle, die dieser so zauberisch elegischen bis kunstreich manierierten  Musik etwas abgewinnen können, dürfte das Album ereignishaft sein.

Dr. Ingobert Waltenberger

 

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