CD LUIGI CHERUBINI „DISCOVERIES“ – FILARMONICA DELLA SCALA, RICCARDO CHAILLY; DECCA
Riccardo Muti war es, der sich über den allseits bekannten Callas-Reißer „Medea“ hinaus für eine Renaissance vor allem der geistlichen Werke von Luigi Cherubini verdient gemacht hat. Für das Label EMI hat Muti etliche Messen und das Requiem in c-Moll mit erstklassigen Klangkörpern wie dem Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks oder dem Philharmonia Orchestra auf Tonträger gebannt. Ein Live-Mitschnitt der Oper „Lodoiska“ aus der Mailänder Scala mit Mirella Devia und Thomas Moser aus den 90-er Jahren erinnert daran, wie prägend Cherubini als Vorbild für Beethovens Freiheitsoper „Fidelio“ war.
Nun legt Riccardo Chailly mit der Filarmonica della Scala nach. Neben der Ouvertüre in C-Dur, der Symphonie in D-Dur und der „Marche funèbre“ sind (angeblich) neun Weltersteinspielungen von Märschen aus verschiedenen Schaffensperioden zu entdecken. Luigi Cherubini, Gralshüter klassizistisch kühler Orchesterpracht, war ein Tausendsasse in allen Gassen: Komponist, Dirigent, Pädagoge, Veranstalter, Musikverleger, Leiter des Pariser Konservatoriums und Freimaurer. Er schrieb etwa 30 Opern, von denen die meisten beim Publikum nicht gerade Jubel auslösten, auch wenn Kollegen wie Beethoven, Schumann und Brahms die technisch kompositorische Meisterschaft zur Recht durchaus zu schätzen wussten.
Die auf dem Album eingespielten Stücke stammen allesamt aus der Musikabteilung der Staatsbibliothek zu Berlin (Stiftung Preußischer Kulturbesitz), zudem sind sie durch ihre Form (außer der Ouvertüre und der Symphonie in D-Dur Märsche) und Chronologie (1797 bis 1825) verbunden. Cherubini liebte die theatralischen Gegensätze, den feierlichen Prunk, das Jonglieren mit der Instrumentierung, das Zurschaustellen kontrapunktischer Meisterschaft. Die Ouvertüre in G-Dur, ein Auftragswerk der Royal Philharmonic Society trumpft opernhaft dramatisch auf. Die viersätzige Symphony in D-Dur aus dem Jahr 1824 ist eine mächtig ausladende Instrumentalkomposition (32 Minuten Spielzeit), die ihrem Schöpfer in der motivischen Arbeit, der aufeinander prallenden Kontraste und Stimmungen alle Ehre macht. Vor allem wegen des in seiner Heroik und ebenso verträumten Zartheit an Beethoven erinnernden Stücks lohnt die Befassung mit dieser CD. Später arbeitete Cherubini sie zu seinem zweiten Streichquartett um.
Eher von musikhistorisch legitimiertem Interesse und vorrangig für Spezialisten dürften trotz des klanglich wunderbaren Orchesters und der Präzision des Dirigenten die selten gespielten Märsche sein, u.a. „pour le jour du sacre de Charles X.“, für den Baron Braun in Schönau, für den „préfet du departement de l’Eure et Loir“, zum „8 février 1814“. Sie sind vorwiegend für Bläserensembles in diverser Zusammenstellung geschrieben. Da bleibt wenig haften, Emotionen blieben bei dieser geradtaktigen militärischen Architekturparade ohnedies außen vor. Hier hätte ausnahmsweise die archäologische Schaufel ruhen können. Wer Klassizistisches in der italienischen französischen Musik mag, sollte sich neben der Symphonie und der Ouvertüre in G-Dur lieber an die großartigen Cherubini-Aufnahmen von Muti halten.
Anmerkung: Leider haben sich die Herausgeber geirrt, wenn sie von neun Weltpremieren auf der CD ausgehen. Die „Marche religieuse pour le jour du Sacre de Charles X“ war bereits auf der Cherubini EMI Box (7 CDs; Muti, Marriner) zu hören.
Dr. Ingobert Waltenberger