CD LUDWIG van BEETHOVEN: SYMPHONIE Nr. 5 – MUSICAETERNA unter TEODOR CURRENTZIS; Sony
„Flucht aus dem bequem gepolsterten Sarg der Tradition“ Currentzis
Veröffentlichung: 12.6.2020
Das an fünf Tagen im Sommer 2018 im Wiener Konzerthaus aufgenommene Album dürfte mehrere Rekorde brechen. Neben der unbestreitbar scharfkantigen, in Phrasierung wie Dynamik unglaublich ausgefeilten Interpretation ist es mit 29,58 Minuten Spielzeit wahrscheinlich eine der kürzesten CDs, die auf dem Klassikmarkt in Umlauf sind. Was habe ich mich damals über das 1988 publizierte Hochpreis-Album „Tschaikovskys Violinkonzert“ beim Gelblabel mit den Wiener Philharmonikern und Anne Sophie Mutter unter Herbert von Karajan echauffiert, weil es mit einer Spielzeit ein wenig über 30 Minuten dem Kunden in Relation zum Preis und der technischen Machbarkeit nur wenig Musik bot.
Abgesehen von diesem Spar-Hinweis der Produzenten ist die neue CD künstlerisch aber ebenso spektakulär wie Currentzis‘ Aufnahme der „Pathetique“ aus dem Jahr 2017. Wobei spektakulär nicht zu übersetzen ist mit musikalisch überwältigend. So intensiv sich Currentzis mit Musik beschäftigt und so eigenständige, einzigartige Hau- und Degen-Interpretationen er zur Diskussion stellt, so esoterisch-messianisch „überdrüber“ lesen sich seine Originalkommentare: „Beethoven war ein Märtyrer seiner Epoche, der in seinem Leben viel Leid und endlose Kämpfe überstehen musste. Zu seiner Zeit wurde er genauso missverstanden wie in den folgenden Jahrhunderten, doch heute ist sein Werk der leuchtende Inbegriff unübertroffener Schönheit in der Kunst. Dabei handelt es sich natürlich nicht um die gesittete, leicht fassbare Schönheit gleichmäßiger Proportionen. Stattdessen ist es die Schönheit eines verzehrenden, gleißenden Lichts, das sich über Normen hinwegsetzt und neue Lebenskraft schenkt. Der hohe Anspruch dieser Musik und ihre unglaubliche Energie können dabei helfen, ihre Zuhörer zu reinigen und in ihrem Geist und Verstand ein neues Licht zu entzünden.“
Im Grunde hat Currentzis natürlich Recht. Jede große Kunst trägt den Begriff der ‚Katharsis‘ in sich. Derjenige, der sich mit Haut und Haar dran wagt, ist danach ein anderer. So werden sich Musikfreunde aller Zonen auf die neu entstehende Gesamteinspielung aller Beethoven Symphonien durch den technisch einzigartig aufmerksamen russischen Klangkörper Musicaaeterna freuen, die mit dieser Fünften ihren Anfang nimmt.
Allerdings gibt es die von Currentzis als erratisch logisch apostrophierte, nach unverrückbar eisernen Grundsätze funktionierende postromantische Aufführungsgeschichte so gar nicht. Man höre sich nur so unterschiedliche Sichtweisen wie diejenigen von Toscanini, Furtwängler, Klemperer, Leibowitz, Norrington, Järvi, Jansons oder Harnoncourt an, um zu verstehen, was ich meine. Den von ihm so bezeichneten „pseudo existenzialistischen Fließbandbetrieb der Aufnahmegeschichte“ bedient Currentzis natürlich auch selbst.
„Keine künstlichen Paradiese, Regeln des Goldenen Schnitts“. Beim Anhören der Fünften in der unsere Zeit so exakt reflektierenden hastig ungestümen Interpretation des Teodor Currentzis fällt folgendes auf: In expressiver Artikulation, präziser Befolgung der Metronomangaben, sehnig knapper Rhythmik und vibratoarmer Bogentechnik der Streicher setzt er die Errungenschaften der Originalklangbewegung fort. Dazwischen platziert er noch jede Menge an Crescendi und Decrescedi auch in kleinsten Spannungselementen, was man bösartig als manieriert, wohlwollend als ausgefeilteste Phrasierung bezeichnen kann. Das hochpräzise, dramatische Orchester fasziniert mich sehr und lässt wahrscheinlich jede/n sofort aufhorchen. Das mit revolutionärer Besessenheit und der Eleganz eines Florettfechters so in Szene gesetzte Spektakel ist kurzweilig, bleibt aber in seiner apodiktischen Antiromantik letztlich eindimensional.
Dr. Ingobert Waltenberger