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CD: Ludwig van Beethoven Sinfonie Nr. 5 c-moll, Op. 67 Leonoren-Ouvertüre Nr. 3 C-Dur, Op. 72b Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks Leonard Bernstein, musikalische Leitung BR-Klassik, 900228

03.01.2025 | cd

Ein Fest für Beethoven – Leonard Bernsteins Münchner Meisterwerk

bert

BR-KLASSIK beginnt das Jahr 2025 mit einer Perle der Musikgeschichte: einem Live-Mitschnitt von Leonard Bernsteins Beethoven-Konzert am 17. Oktober 1976. Es ist eine Aufnahme von besonderem Rang, in der der große Dirigent mit dem Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks zwei Meisterwerke Beethovens aufführte: die berühmte fünfte Sinfonie und die Leonoren-Ouvertüre Nr. 3. Dieses Konzert war mehr als nur ein musikalisches Ereignis – es war ein Akt der künstlerischen Verschmelzung, bei dem Bernsteins unvergleichliches Verständnis für Beethovens Klangsprache und die außergewöhnliche Qualität des Orchesters einander bedingten und beflügelten.

Beethovens fünfte Sinfonie gehört zweifellos zu den ikonischen Werken der Musikgeschichte. Das „Schicksalsmotiv“, diese markanten vier Töne, ist mehr als nur eine musikalische Idee – es ist ein Symbol für den Übergang von Dunkelheit zu Licht, vom Zweifel zur Gewissheit. Leonard Bernstein verstand es wie kein anderer, dieses Werk mit einer Intensität und Vielschichtigkeit zu gestalten, die den Zuhörer unmittelbar in Beethovens innere Welt eintauchen ließ.

Bernstein eröffnet den ersten Satz mit einem beeindruckenden Spannungsbogen. Von den ersten Tönen an erklingt das Orchester mit einem fast bedrohlichen Nachdruck, der die existenzielle Dramatik des Werkes unterstreicht. Jede Dynamik wird bis ins Äußerste ausgereizt, die Kontraste zwischen eruptiver Wucht und flüsternder Zartheit sind mitreißend. Dabei gelingt es Bernstein, den Fluss der Musik nie abreißen zu lassen – das Orchester wirkt wie ein einziges, atmendes Wesen. Der zweite Satz, das Andante con moto, offenbart eine ganz andere Facette des Werks: Wärme, Trost und Hoffnung. Besonders hervorzuheben sind hier die Holzbläser, deren sanfte, warme Klangfarben einen lyrischen Gegenpol zum dramatischen ersten Satz setzen. Bernstein zelebriert diesen Moment mit äußerster Hingabe, lässt jede Phrasierung atmen und jede Melodie fließen. Mit dem Scherzo leitet Bernstein wieder in dramatischere Gefilde über. Die tiefen Streicher und Bässe tragen die geheimnisvolle, fast unheimliche Atmosphäre, die dieser Satz ausstrahlt. Hier zeigt das Orchester seine außergewöhnliche Präzision, als es die fugierten Passagen mit glasklarer Struktur und zugleich ungebremster Energie darbietet. Bernstein gelingt ein organischer Übergang, der die Spannung ins beinahe Unerträgliche steigert – ein Meisterstück der Dramaturgie. Das Finale wird ein reines Triumphfest. Bernstein entlockt den Blechbläsern eine Strahlkraft, die wie ein Lichtstrahl durch die Dunkelheit bricht. Die Pauken setzen kraftvolle Akzente, während die Streicher mit ungezügelter Energie vorantreiben. Dabei gelingt es Bernstein, die Architektur des Finalsatzes klar herauszuarbeiten, ohne die emotionale Intensität zu opfern. Die jubelnde Schluss-Stretta wirkt wie ein unaufhaltsamer Durchbruch ins Licht – ein wahrhaft kathartischer Moment.

Die dritte Leonoren-Ouvertüre, ursprünglich für Beethovens Oper Fidelio gedacht, war für Bernstein mehr als ein bloßes Konzertstück – sie war ein Werk, das er zutiefst liebte und das ihm besonders am Herzen lag. Unter seiner Leitung entfaltete die Ouvertüre eine packende Dramatik und erzählerische Tiefe.

Die berühmte Signaltrompete, die in der Oper die Rettung des zu Unrecht inhaftierten Florestan ankündigt, ist ein strahlender Höhepunkt in Bernsteins Interpretation. Die Spannung zwischen der düsteren Einleitung und dem triumphalen Schluss ist bis ins Detail ausbalanciert. Bernstein lässt das Orchester die narrative Struktur des Stücks in packender Intensität zum Leben erwecken: Von den geheimnisvollen, sich verdichtenden Klangschichten des Anfangs bis zum befreienden, jubilierenden Finale. Es ist eine Interpretation, die tief in die Seele der Musik dringt und gleichzeitig Beethovens humanistisches Ideal in den Vordergrund stellt.

Das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks erweist sich einmal mehr als ein Ensemble von höchster Qualität. Seine Fähigkeit, unter Bernsteins Leitung klangliche Extreme auszuloten, ist ebenso beeindruckend wie seine klangliche Wärme und die Präzision des Zusammenspiels. Die Musiker reagieren auf Bernsteins charismatische und fordernde Art mit einem Höchstmaß an Hingabe. Bernstein selbst war nicht nur Dirigent, sondern auch ein Vermittler von Beethovens Botschaften. Seine Fähigkeit, die emotionalen Tiefen und philosophischen Höhen der Werke gleichermaßen zu erfassen, machte ihn zu einem der bedeutendsten Beethoven-Interpreten seiner Zeit. Sein Dirigat war nie bloß handwerklich – es war ein Akt des vollkommenen Sich-Einlassens auf die Musik.

Diese Aufnahme ist ein unverzichtbares Dokument für alle, die Leonard Bernstein und Beethoven lieben. Die Mischung aus mitreißender Emotionalität und struktureller Klarheit macht diese Aufführung zu einem musikalischen Erlebnis von höchstem Rang. Bernsteins Leidenschaft und das glühende Engagement des Symphonieorchesters des Bayerischen Rundfunks verschmelzen zu einer Interpretation, die auch heute noch Gänsehaut erzeugt.

Dirk Schauß, im Dezember 2024

 

Ludwig van Beethoven

Sinfonie Nr. 5 c-moll, Op. 67

Leonoren-Ouvertüre Nr. 3 C-Dur, Op. 72b

Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks

Leonard Bernstein, musikalische Leitung

BR-Klassik, 900228

 

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