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CD LUDWIG van BEETHOVEN: KLAVIERKONZERTE Nr. 3 und 4, BORIS GILTBURG; Vasily Petrenko dirigiert das Royal Liverpool Philharmonic Orchestra; Naxos

14.03.2023 | cd

CD LUDWIG van BEETHOVEN: KLAVIERKONZERTE Nr. 3 und 4, BORIS GILTBURG; Vasily Petrenko dirigiert das Royal Liverpool Philharmonic Orchestra; Naxos

Abschluss des Aufnahmeprojekts aller Klavierkonzerte Beethovens

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Boris Giltburg, russisch-israelischer Pianist der Sonderklasse, hat bei Naxos schon seine persönliche musikalische und analytische Sicht auf alle Beethoven Klaviersonaten publiziert. Garniert ist die Box mit einem bei diesem auch pädagogisch ungemein eloquenten Musiker mit einem Booklet, das auch dem Laien Beethovens Kosmos für Klavier solo verständlich, aber nicht populärwissenschaftlich näherbringt. Nun sind als interessante Alternative zu den vielen Einspielungen am Markt auch alle Klavierkonzerte des Bonner Meisters im Kasten.

Mit dem faszinierend klaren und mediterran sonnenlichten Fazioli-Flügel-Sound hebt sich Giltburgs Auffassung von anderen Interpretationen deutlich insofern ab, als er weder romantisch emotional noch heroisch oder verspielt an die Tasten geht bzw. irgend eine vorab gebraute stilistische Einheits-Sauce über die Musik, gießt, sondern Beethoven in all seiner Widersprüchlichkeit und den verschiedensten klanglichen und atmosphärischen Facetten kompromisslos erlebbar macht. Sein Spiel scheint aus einer inneren Ruhe und traumwandlerisch reflexiven Ortung heraus destilliert. Giltburg lässt bei aller kunstfertigen und interpretatorisch magisch ausdifferenzierten Annäherung die Kirche im Dorf. Das trifft auf das organische Atmen in den ganz nach Temperament und Sinn gezeichneten Phrasen, die muskulösen Gesten, die himmlische Feenhaftigkeit der ruhigen Passagen gleichermaßen zu.

Jedem Satz, jeder Spannung, jeder Poesie, jedem Rausch, jeder Wut, jedem Gebet und jedem abrupt-schockartig wirkenden atmosphärischen Wechsel lässt er sein Recht, die jeweilige Wirkung der Musik nur aus der Partitur gefiltert. Giltburg ist ein hoch energetischer, nie nervös wirkender Pianist, der nicht nur im ersten Satz des dritten Klavierkonzerts in c-Moll ganz im Sinne Beethovens „die hochdramatischen Passagen mit vielen zärtlichen, lyrischen und sogar humorvollen Momenten“ zu verbinden weiß. Er selbst kommentiert das so: „Die warmherzige Schönheit des zweiten Themas im Orchester und im Klavier, die aufrichtige Beschwörung und die schlichte Erzählung, die glühenden Bravourpassagen und Triller – all das lässt ein viel komplexeres und nuancenreicheres musikalisches Bild entstehen als es die bloße Kombination dramatischer Ausbrüche und geisterhafter Erscheinungen könnte.“

Der 38-jährige Boris Giltburg kann auch ganz auf Charmeur, im Wesentlichen aber macht er die harschen Gegensätze mit rein aus den Anschlagsvarianten und der Artikulation gewonnenen Zwischentönen erlebbar. Er vermittelt unseren zerrissenen Seelen die adäquat ungeschönte, in ihrer abgründigen Wahrhaftigkeit aber am Ende trostreiche Stimme Beethovens. Mit Rubati und Pedal geht Giltburg sparsam um. Als gefühlvoller Strukturalist reüssiert an beiden Polen des Musikverständnisses: Form und Emotion, kognitive Durchdringung und sinnengeschärfte, sich jedem Wort entziehende Annäherung an des Menschen eisbergartig unsichtbares Innerstes.

Vasily Petrenko ist mit seinem Royal Liverpool Philharmonic Orchestra professionell unterwegs, aber nicht immer ein kongenialer Partner. Sachlich und ehrlich, bisweilen wenig stimmungskongruent überartikulierend begleitet er den aufregend kontrastreich agierenden Pianisten mit dem guten, aber nicht hervorragend aufspielenden Orchester. Die Aufnahmetechnik fügt das Ihrige hinzu, um den Klavierpart dominanter hervortreten zu lassen, als das bei anderen Aufnahmen der Fall ist. Ich denke hier etwa an eine meiner absoluten Lieblingsaufnahmen der fünf Beethoven Klavierkonzerte mit Wilhelm Kempff, den Berliner Philharmonikern mit dem fantastisch elegant agierenden Ferdinand Leitner, wo Klavier und Orchester in einer unbeschreiblichen Leichtigkeit einander wunderbar ausbalanciert begegnen.

Die neue Gesamtaufnahme der Beethoven-Klavierkonzerte bezieht ihren Ausnahmerang vom Pianisten Boris Giltburg her. Sie fordert den wachen Hörer heraus, sich aus seiner Komfortzone heraus zu bewegen, sich auf unbequeme Offenbarungen, Düsternis und Dramatik, harte Dissonanzen genauso einzulassen, wie auf introvertierte Mediation, verträumtes Schwärmen, schicksalhaftes Einlenken oder tänzerisch stampfende Agilität. Besonders eindrücklich beleben die Kadenzen den Eindruck abseits liebgewonnener Hörgewohnheiten mit purer pianistischer Magie. Empfehlung!

Dr. Ingobert Waltenberger

 

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