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CD LUDWIG van BEETHOVEN: KLAVIERKONZERTE – KRYSTIAN ZIMERMAN, London Symphony Orchestra dirigiert von SIMON RATTLE; Deutsche Grammophon

20.08.2021 | cd

CD LUDWIG van BEETHOVEN: KLAVIERKONZERTE – KRYSTIAN ZIMERMAN, London Symphony Orchestra dirigiert von SIMON RATTLE; Deutsche Grammophon

Zimermans Beethoven – Durchgang zwei

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Von den richtig guten Klassikreißern der ewigen Heroen Haydn, Mozart, Beethoven, Schubert oder Wagner kann ich die Nase nicht voll genug kriegen. Dazu zählen auch – und zwar nicht zuletzt – alle fünf Klavierkonzerte von Beethoven, mit deren Schöpfung der Komponist zeitlich seine gesamte Laufbahnentwicklung abmisst. Eigentlich hat Beethoven ja sieben Klavierkonzerte geschrieben. Der Jugendversuch in Es-Dur WoO 4 zählt nicht als eigenes Opus und die von Beethoven für Julie von Breuning höchstpersönlich erstellte Bearbeitung des Violinkonzerts für Klavier Op. 61a darf nicht als ureigenes Klavierkonzert gelten.

Offenbar geht es mit der Freude an Beethovens Klavierkonzerten nicht nur mir so, sondern auch Pianisten oder Dirigenten sonder Zahl. Einer davon ist der polnische Tastenvirtuose Krystian Zimerman. Dass er Beethoven und insbesondere dessen Konzerte „kann“, hat er bereits neben zahlreichen Auftritten, mit der berühmten Einspielung aus den Jahren 1989/1991, teils unter Leonard Bernstein (Konzerte 3-5 live aus dem Wiener Musikverein) mit den Wiener Philharmonikern bewiesen. Berühmt ist die Box nicht nur wegen der künstlerischen Substanz, sondern auch, weil Maestro Bernstein mitten im Aufnahmeprojekt verstarb. Zimerman musste die ersten beiden Konzerte im Dezember 1991 dann selber vom Klavier aus dirigieren. Die Wiener Philharmoniker erfreuen mit seidigem Ton. Zimerman spielt mit virtuoser Pranke, dennoch aber im Klang duftig, oft einem Pianoforte äußerst ähnlich mit klar abgezirkelten Tönen. Wir haben es mit einer selbst nach heutigen Maßstäben noch immer modernen Interpretation zu tun. Orchester und Pianist mischen sich zu einer höheren Einheit.

19 Jahre später: Zimerman, diesmal mit seinen Partnern vom LSO und ihrem Chef Simon Rattle in der ehemaligen Londoner Kirche St. Luke‘s. Das Orchester ist wegen der Corona-Pandemie über die gesamte Länge des Kirchenschiffs verteilt, jedes Notenpult verfügt über eine Schutzwand aus Plexiglas. Rattle findet, dass es spannend sei, wenn das Orchester soweit auseinander sitzt, denn die Musik müsse sehr große Distanzen überwinden. In der Praxis hört sich das aber bei aller gloriosen Pracht des tiefengestaffelten Sounds bisweilen vor allem wuchtig an. Wer hätte gedacht, das einem bei Rattle eines Tages als stilistischer Vergleich Knappertsbusch in den Sinn kommt? Musikalisch ganz und gar keine schlechte Karte, würde ich meinen, nur halt so ganz anders, als sich das jemand hätte imaginieren können.

Nach wir vor fabulös und zauberisch differenzierend ist Krystian Zimerman am Klavier. Zumal er sich diesmal von Beethovens eigenen Instrumenten hat inspirieren lassen und seinen Flügel mit verschiedenen Tastaturen zum Wechseln ausgestattet hat. Krystian Zimerman trägt damit dem eigenen, starken Charakter der Konzerte Zoll. Zimerman und Rattle sind sich einig, dass das Zweite etwa (es ist zeitlich vor dem Ersten entstanden) einen „ein wenig gemeinen und albernen Humor“ besitzt bzw. „prahlerisch und frech“ daherkommt. Für den Witz im Finale des Ersten Konzerts findet Zimerman zugespitzte Worte: Da ist Beethoven „manchmal schon zynisch und hin und wieder neigt er zu grotesken Übertreibungen.“ Auf jeden Fall spielt Zimerman diese Konzerte heute nach Eigendefinition leichter und mit mehr Spaß und Freude als früher. Im dritten Konzert mit „einem der schönsten, wahrhaft herzzerreißenden langsamen Sätze“ bemüht sich Zimerman und einen „schroffen, harschen Klang, der eher an Granit erinnert als an Marmor.“

Um dem „Vierten“ gerecht zu werden, nutzt Zimerman eine Tastatur, die sich an der Mechanik der Instrumente von Anton Walter orientiert, die kräftiger waren als ihre Vorgänger, aber gleichzeitig leichtgängiger und flexibler. Die gläsernen Klangfarben eines Hammerklaviers mit der Kraft und den Möglichkeiten eines modernen Flügels zu verbinden, ist Zimerman jedenfalls geglückt. Das seinem Schüler und Förderer Erzherzog Rudolph gewidmete „Fünfte“ sieht Zimerman als „eine Symphonie mit Soloklavier, das hier eine bedeutende und imposante Persönlichkeit“ darstellt.

Ich habe das dritte Konzert vergleichend gehört. Von der Dauer der Sätze her sind die beiden Aufnahmen nahezu ident. Das erste, was hervorsticht, ist die umwerfende Tonqualität der neuen Aufnahme aus London. Das LSO posiert muskulös. Das ist beeindruckend und fast schon körperlich erfahrbar. Vom gesamten Ansatz her ist Rattle der weniger rücksichtsvolle Begleiter, da kommt der Pianist bei den Klangmassen des LSO ganz schön ins Schwitzen. Bernstein trägt den Pianisten mit dem Orchester quasi auf Wolken, das Substrat der Musik ist durchsichtiger und feiner angelegt. Zimerman nutzt das Pedal im Jahr 2000 wesentlicher intensiver als 1989. Bernstein scheint seinen Beethoven von Haydn her zu lesen, bei Rattle mischt sich hochromantische Klangfülle und ein gewieftes Pathos mit einem von den Mikros mächtig und präsent eingefangenen Klavierton. 

Beide Aufnahmen haben also ihre Meriten. Die musikalisch duftigere ist die erste, aber auch mit dem zweiten Set, ebenfalls bei der Deutschen Grammophon erhältlich, ist dem Pianisten ein grandioser Wurf gelungen. 

Dr. Ingobert Waltenberger

 

 

 

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