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CD Ludwig van Beethoven: Kanons & musikalische Scherze, Cantus Novus Wien, Ensemble Tamanial; NAXOS

07.10.2020 | cd

CD Ludwig van Beethoven: Kanons & musikalische Scherze, Cantus Novus Wien, Ensemble Tamanial; NAXOS

56 Kanons & Co: nur mäßig unterhaltsam – für pingelige Enzyklopädisten

Tja, das haben Jubiläen so an sich: Alles wird hervorgekramt, auch das, was bisher in hinteren Winkeln zurecht sanft vor sich hinschlummerte. Das gilt im Kern für die kleinen Gebrauchsmusiken der vorliegenden CD, die in 56 Tracks im Schnitt jeweils eine Minute harmlose musikalische Petitessen vorführt.

Ein Kanon ist ja keine sonderlich anspruchsvolle Kompositionsform. Die solcherart betitelten Werke bestehen im Wesentlichen aus nichts anderem als dem zeitversetzten, daher mehrstimmigen Abspulen einer meist simplen Melodie mit oft ebenso einfach gestrickten bis auf der anderen Seite der Skala anständig gepfefferten Texten. Bei letzterer Kategorie wird so manch eine/r an Mozarts berüchtigte „Leck mich im Arsch“ Kanons (ja, es gibt mehrere von der Sorte) oder „Bona nox! bist a rechta Ox“, KV 561, denken. In der deftigsten Fäkal-Version hat Mozart „nur“ den provokanten Text einem Kanon von Wenzel Trnka von Krzowitz unterlegt.

In der Produktbeschreibung wird erklärt, „dass einer der am wenigsten erforschten Bereiche in Beethovens Kompositionen die vielfältige Abfolge von Kanons, frühen Übungen im Kontrapunkt, reifen Witzen und jeux d’esprit sei, die er über viele Jahre hinweg geschrieben hat. So komponierte er 1816 einen zweistimmigen Kanon für den Komponisten Hummel und 1823 einen vierstimmigen Kanon für Graf Lichnowsky. Darüber hinaus schrieb er Geburtstags- und Weihnachtsgrüße für Kollegen und Freunde sowie Lieder, die die Namen der Empfänger im Wortspiel angaben oder sich über sie lustig machten.“

Nun ist Beethoven nicht Mozart, sondern ein weltumfassend bis himmelstürmend in Kant‘schen Kategorien schaffender idealistischer Musiker.  Ein sich in biertrunkener Atmosphäre badender Geselle war Beethoven trotz erstaunlich großen Alkoholkonsums sowieso nicht. Deftig Ordinäres liegt dem Bonner Meister kaum und schon gar nicht die Bodenständigkeit, oder das augenzwinkernd einfache Gemüt, um im Genre der musikalischen Scherze – von fein bis schenkelklopfend – reüssieren zu können. Ein vergessenes Meisterwerk findet sich also trotz weniger Weltersteinspielungen auf dem neuen Album garantiert nicht, auch wenn Stücken wie das „Lob auf den dicken Schuppanzigh“ oder „Bester Herr Graf, Sie sind ein Schaf!“ ein gewisser Witz nicht abzusprechen ist. Daneben gibt es aber unverdauliche Belanglosigkeiten wie „Glück zum Neuen Jahr“ & Co durchzustehen. Der Vollständigkeit halber: Ein früher Beethoven zugeschriebenes Stück stammt von Michael Haydn („Glück fehl‘ dir vor allem“), ein weiteres von Karl Holz („Holz geigt die Quartette so“).

Es bleibt im Endeffekt die kognitive Seite des enzyklopädischen Jubiläums-Projekts als wertbeständig haften, das Booklet enthält (sehr) kurze Informationen zu den einzelnen Stücken. Historisches kann so zumindest oberflächlich nachvollzogen werden.

Von der musikalischen Ausführung ist Durchwachsenes zu berichten. Zwei Ensembles sind am Werk, das a cappella Quartett Tamanial und der Kammerchor Cantus Novus Wien, unter der musikalischen Leitung von Thomas Holmes. Im direkten Vergleich schneidet der Kammerchor besser ab. Aber: Alles wirkt bieder und brav, markant dynamische Akzente oder eloquent differenzierte Artikulation würzen kaum die Interpretationen. Die wacker um Qualität Bemühten hätten an die Notenblätter schon mit mehr Biss und Kante herangehen müssen, um die Aufmerksamkeit zu erwecken und sie halten zu können. Statt handfest zuzupacken, ermüdet der monotone Klang rasch die Konzentration. In den Sopranstimmen gibt es manche Schärfe und Intonationsunreinheiten zu verorten, so mancher Chorsolistenvortrag ist nicht frei von Wacklern.

Keine Empfehlung.

Inhalt der CD: Lob auf den dicken Schuppanzigh WoO 100; Graf, Graf, liebster Graf WoO 101; Im Arm der Liebe ruht sich’s wohl WoO 159; Ewig dein WoO 161; Freundschaft ist die Quelle wahrer Glückseligkeit WoO 164; Glück zum neuen Jahr WoO 165; Kurz ist der Schmerz WoO 163; Brauchle, Linke WoO 167; Das Schweigen WoO 168 Nr. 1;Das Reden WoO 168 Nr. 2; Ich küsse Sie WoO 169; Ars longa, vita brevis WoO 170; Glück fehl dir vor allem WoO 171 (von Michael Haydn, Beethoven zugeschrieben); Ich bitt’ dich, schreib’ mir die Es-Scala auf WoO 172; Hol Euch der Teufel! B’hüt’ Euch Gott! WoO 173; Glaube und hoffe WoO 174; Sankt Petrus war ein Fels? – Bernardus war ein Sankt? WoO 175; Bester Magistrat, Ihr friert WoO 177; Glück, Glück zum neuen Jahr WoO 176; Signor Abate WoO 178; Seiner Kaiserlichen Hoheit – Alles Gute, alles Schöne WoO 179; Hoffmann, sei ja kein Hofmann WoO 180; Gedenket heute an Baden WoO 181 Nr. 1; Gehabt euch wohl WoO 181 Nr. 2; Tugend ist kein leerer Name WoO 181 Nr. 3; O Tobias WoO 182; Bester Herr Graf, Sie sind ein Schaf WoO 183; Falstafferel, lass’ dich sehen WoO 184; Edel sei der Mensch, hülfreich und gut WoO 185; Te solo adoro WoO 186; Schwenke dich ohne SchwänkeWoO 187; Gott ist eine feste Burg WoO 188; Doktor sperrt das Tor dem Tod WoO 189; Ich war hier Doktor, ich war hier WoO 190; Kühl, nicht lau WoO 191; Ars longa, vita brevis WoO 192 & 193; Si non per portas WoO 194; Freu dich des Lebens WoO 195; Es muss sein WoO 196; Das ist das Werk WoO 197; Wir irren allesamt WoO 198; Ich bin der Herr von zu WoO 199; Ich bin bereit – Amen WoO 201; Das Schöne zum Guten WoO 203; Holz geigt die Quartette so WoO 204 (von Karl Holz, Beethoven zugeschrieben); Languisco e moro Hess 229 (nach Mattheson); Te solo adoro Hess 262 & 263 (Skizzen zu WoO 186); Herr Graf, ich komme zu fragen WoO 221; Esel aller Esel WoO 227; Kurz ist der Schmerz WoO 166; Canons WoO 160 Nr. 1 & 2

Dr. Ingobert Waltenberger

 

 

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