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CD LUDWIG van BEETHOVEN /FRIEDRICH KALKBRENNER: Symphonie Nr. 9 für Klavier, Chor und Solisten in französischer Sprache, Weltersteinspielung; Mirare

Aufnahme des Festivals de La Folle Journées de Nantes unter dem Motto “Beethoven“ vom Jänner 2020

21.10.2020 | cd

CD LUDWIG van BEETHOVEN /FRIEDRICH KALKBRENNER: Symphonie Nr. 9 für Klavier, Chor und Solisten in französischer Sprache, Weltersteinspielung; Mirare

Aufnahme des Festivals de La Folle Journées de Nantes unter dem Motto “Beethoven“ vom Jänner 2020

Haben Sie schon einmal Schillers „Ode an die Freude“ in der „Neunten“ Beethoven in französischer Sprache gehört? Mit diesem Album bietet sich hierfür eine einmalige Gelegenheit. Der Text wurde von Crevel de Charlemagne im frühen 19. Jahrhundert ins Französische übertragen, weil der aus Kassel stammende und in Paris groß gewordene Komponist Friedrich Kalkbrenner 1830 eine eigene Fassung der berühmten Symphonie für Klavier, Soli und Chor erstellt hat.

Kalkbrenner, musikhistorisch eher als Pädagoge einer frühromantischen Klavierschule im Fahrwasser seines Idols Chopin bekannt (das „perlen lassen“ der Töne geht auf ihn zurück), war nicht nur ein in Frankreich besonders angesehener Tastenvirtuose, sondern auch ein interessanter Komponist, dessen Werk oder zumindest große Teile davon der Wiederaufführung harren. Die vorliegende CD stellt zum ersten Mal sein für unsere Ohren eigenwilliges Arrangement der „Neunten Symphonie“ von Ludwig van Beethoven für Klavier solo, Solisten und Chor zur Diskussion.

Die Nähe des jungen Kalkbrenner zu Beethoven ist auch biographisch-anekdotisch aufschlussreich, weil Beethoven selbst während einer Reise von Prag nach Wien um 1795 dem Vater eine brillante Zukunft des Friedrich prophezeit haben soll. Besagter Vater wurde 1790 von heute auf morgen aus den Diensten des als steif und hart geltenden Prinzen Heinrich von Preußen entlassen. Er emigrierte nach Frankreich, wo er an der Pariser Oper „chef de chant“ (=Korrepetitor) wird. Friedrich (in Frankreich wird er Frédéric genannt) wächst musikalisch in Paris auf, der Achtzehnjährige geht für drei Jahre nach Wien (1803-1806). Dort wird er Schüler von Haydn, Albrechtsberger und Clementi, anschließend etabliert er sich zehn Jahre lang in London. Frédéric Kalkbrenner starb 1849 an der Cholera, im selben Jahr wie sein Idol Chopin. Sein Grab befindet sich auf dem Cimetière de Montmartre.

Die Transkriptionen aller Symphonien von Beethoven schrieb Kalkbrenner während genau der Zeit, in der auch Franz Liszt seine Bearbeitungen oder „Partituren“ für Klavier, zumindest der Symphonien 1-8 fertig stellte. Die „Neunte“ wird Liszt, der boshafterweise die Arbeit seines Kollegen Kalkbrenner mit dem Ausspruch „er solle lieber seine blonden und roten Perücken arrangieren“ diffamierte, erst 26 Jahr später nachfolgen lassen.

Der ganz auf eine präzise Fingerarbeit gestützt Stil Kalkbrenners, in seiner Gestik auf das absolute Minimum reduziert, erklärt sich durch sein Hineingeborensein in eine Zeit, wo das Cembalo gerade vom Pianoforte abgelöst wurde. In seinen Transkriptionen orchestraler Schlachtrösser kann er dank der Zusammenarbeit mit dem öst./frz. Klavierbauer Ignaz Pleyel ein Idiom entwickeln, das die mächtigen Wirkungen eines Orchesters durchaus nachschöpferisch imaginieren kann.

Die Japanerin Etsuko Hirose nimmt sich des gewaltigen Opus‘, der Exzentrizität dieser Klavierfassung mit bewundernswerter Energie und Leidenschaft an. Streckenweise fallen jedoch die kleineren Details und ein wünschenswert dynamisch feiner kalibriertes Spiel einer doch deftig zulangenden Pranke zum Opfer. Der Hörer könnte den Eindruck technischer Gratwanderungen gewinnen bzw. eine Pianistin wahrnehmen, die von den Anforderungen her zu absorbiert zu sein scheint, um Abschattierungen den Stellenwert zukommen zu lassen, der jeder großen Interpretation innewohnt. Aber auch wenn es sich um keine weltmeisterliche Leistung handelt, so ist immerhin so viel Schwung und Emphase drin, dass das Interesse an Kalkbrenners Arrangement(s) geweckt ist.

Bei der musikalischen Umsetzung finden wir uns auch vokal auf der grobmaschigen Seite. Der tapfere Philharmonische Chor aus Jekaterinenburg (Leitung André Petrenko) kämpft mit der korrekten Aussprache des Französischen gleichwie mit dem homogenen Auftritt der Stimmgruppen. Die Solisten (Cécile Achille Sopran, Cornelia Oncioiu Alt, Samy Camps Tenor und Timothée Varon Bass) bieten außer dem Jubelton der Frauenstimmen im Forte maximal gediegenes Bemühen.

Dennoch empfehle ich die CD Kuriositätensammlern, aber auch neugierigen Musik- und speziell Beethoven-Freunden. In erster Linie wegen der den Geist Beethovens fortschreibenden, historisch eine Umbruchszeit in der Geschichte des Klavierspiels markierenden Adaption durch Kalkbrenner, aber auch, weil im Spiel von Etsuko Hirose genügend reizvolles Virtuosentum und vor allem eine tiefe Identifikation auszumachen ist, die das Zuhören mit manch Erstaunen und Lächeln würzen.

Persönlich fühlt sich der Rezensent durchaus nostalgisch an viele Klavierproben zur 9. Beethoven erinnert, einer Symphonie, an der er vor allem in Wien (Konzerthaus, Musikverein), aber auch in Beirut, Prag etc. als Chorbassist im Singverein und der Singakademie so an die 70-mal mitgewirkt hat.

Fazit: Die Kalkbrenner-Fassung ist in ihrer himmelstürmenden Dichte und kosmischen Verwegenheit eine Erkundung wert.

Dr. Ingobert Waltenberger

 

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