CD LUDWIG van BEETHOVEN: EGMONT, Op. 84 – Ersteinspielung der Textfassung von Fabian Enders; querstand
„Wohltun wo man kann, Freiheit über alles lieben, Wahrheit nie, auch sogar am Throne nicht verleugnen.“ Beethoven, Stammbucheintrag für Theodora Vocke,1793
Die Schauspielmusik Ludwig van Beethovens zur musikalischen Umsetzung der Goetheschen Regieanweisungen des 1789 in Mainz uraufgeführten Trauerspiels „Egmont“ wurde 1809 vom k.k. Hoftheaterdirektor Joseph Hartl in Auftrag gegeben. Beethoven fügte den szenisch verlangten Einlagen eine Ouvertüre sowie Zwischenaktmusiken hinzu.
Im Stück geht es um den Widerstand gegen gewaltsame religiöse und politische Unterdrückung und gegen Fremdherrschaft sowie um die Vision von Freiheit und gerechte Herrschaft. Am Schicksal des Grafen Lamoral Egmont, Fürsten von Gavre, zeigt sich zudem, dass Naivität trotz Warnung im Umgang mit autoritären Machthabern, in diesem Fall ist es der spanische Herzog von Alba, noch dazu in Zeiten von konkret rebellischen Wirren, einen hohen Preis fordert. Während Wilhelm von Oranien, mit Egmont gemeinsam die Adelsopposition anführend, rechtzeitig flieht, wird Egmont wegen Hochverrats zum Tod verurteilt. Seine geliebtes Clärchen scheitert bei ihrem Bestreben, Verbündete zu finden und Egmont aus dem Gefängnis zu holen. Sie vergiftet sich.
Enders: „In einer letzten Vision durchwandelt Egmont ‚eingehüllt in gefälligen Wahnsinn‘‘, vom Es-Dur der Nacht und Liebe her die Sphären des Himmelstons E-Dur hin zu der unausweichlich diesseitigen D-Dur Sphäre der Siegesgöttin. Ihm und uns erscheint die erträumte Gestalt der Geliebten, die ein Ende der Fremdherrschaft verheißt.“
Während die Aufnahmen von der Musik her die Gliederung Ouvertüre – Lied „Die Trommel gerühret“ – Zwischenaktmusik I, Andante – Zwischenaktmusik II, Larghetto – „Freudvoll und leidvoll“ – Zwischenaktmusik III, Allegro – Zwischenaktmusik IV, Poco sostenuto e risoluto – „Klärchens Tod bezeichnend“, Larghetto – Melodram „Süßer Schlaf! Du kommst wie ein reines Glück“ – Siegessymphonie, Allegro con brio aufweist, bestehen, was die überleitenden Texte für einen männlichen Sprecher betrifft, große Unterschiede.
Da gibt es die “klassisch“ deklamatorischen Worte von Friedrich Mosengeil oder Franz Grillparzer, entweder gesamt bzw. mehr oder weniger gekürzt (Stephan Knies für cpo; Capella Aquileia; Marcus Bosch) oder neu eingerichtet und durch Passagen aus Goethes Trauerspiel ergänzt, wie etwa in der Version von August Zirner in der Einspielung mit dem Münchner Rundfunkorchester unter John Fiore.
In dem nun erschienenen Live-Mitschnitt vom 19.11.2021 aus der Friedenskirche Potsdam hat Dirigent Fabian Enders aus Goethes Dichtung selbst die Textfassung erstellt. Damit soll eine von der Notwenigkeit des Dialogischen gelöste Textgestalt erreicht werden, „die die Szenen gleichsam als Bilder und Bezugsmomente der Musik verdeutlichen und Motive der Handlung im Hintergrund schlüssig sichtbar werden.“
Dieses Verfahren von Enders rückt Beethovens „Egmont“ aufgrund der neu gewonnenen Kompaktheit mit den handlungsmäßig eindeutig verknüpften Musikstücken in die Nähe eines Hörbuchs. Was im Gesamten gut geglückt ist, zumal Klaus Mertens als Sprecher und die Sopranistin Evelin Novak – die das Clärchen nicht nur glockenrein und mit goldener Mittellage in bester Leonorenart singt, sondern auch rezitiert – sich dem entsprechend in ihre Rollen fügen. Der eine, weil er das richtige Maß an erzählender Distanz und glutvoller Eindringlichkeit hält, die andere, weil sie glaubhaft die Welten zwischen bestimmender Mission der Figur und berührender Verinnerlichung durchwandelt.
Musikalisch glänzt die Wiedergabe mit der Filharmonie Brno (Barbara Trncikova Oboe, Falko Lösche Trompete) in dichter atmosphärischer Intensität und heroisch überhöhtem Edelton. Fabian Enders, ehemaliger Assistent von Peter Schreier, hat nicht nur zahlreiche Orchester dirigiert, er leitet seit 2014 auch den Sächsischen Kammerchor. Enders ist außerdem als Komponist und Pionier bekannt, was Weltersteinspielungen, etwa die Symphonie Nr. 1 von Günter Raphael, anlangt.
Die Ouvertüre und die bereits darin zitierte Siegessymphonie haben Zunder und Tempo. Das finale Allegro von brio atmet Emphase und endet in überschäumendem Furor. Egmonts „Opfer“ wird hier in pseudoreligiösem Triumpf als freudige Erwartung einer besseren Zukunft transzendiert. Beethoven ist ‚as his best‘ in den Zwischenaktmusiken. Fabian Enders findet für die Seelenlagen von Egmont in der „Zweiten“ und längsten differenziertere, verhaltene Töne. Das Orchester lässt dunkelfarbig Unruhe, Zweifel und Frucht des Helden erahnen. Die Oboe in Zwischenaktmusik III singt traumgleich Clärchens Melodie von hinwendungsvoller Zuneigung, bevor der Marsch die Soldateska ankündigt.
Wo die Partitur den Weg von der Nacht zur Freiheit zeichnet, zögernd, aber doch Klangfülle und Pathos erfordert, lässt Enders diese auch genüsslich zu. „Clärches Tod bezeichnend“ lässt das Drama für einen kurzen Moment lyrisch-düster innehalten. Zunehmend visionärer rauscht die Musik im Melodram auf. Das Trompetensignal als erlösendes Zeichen von aller Tyrannei lässt Assoziationen zu „Fidelio“ aufkommen, bevor die alles umarmende Siegessymphonie mit einer Utopie schließt, die sich leider historisch nie erfüllt hat.
Die Klangqualität ist gut, ein leichter, nicht unangenehmer Hall ist dem Aufnahmeort zuzurechnen. Dank der überzeugenden Textfassung und dem beherzten Musizieren von Fabian Enders können wir über eine vollgültige Alternative zu den großen Referenzen im Katalog berichten.
Dr. Ingobert Waltenberger