CD LUDWIG VAN BEETHOVEN „EGMONT“ – Christina Landshamer, Münchner Rundfunkorchester, John Fiore; BR-Klassik
Musik zu Goethes Trauerspiel Op. 84
„Wohltun wo man kann, Freiheit über alles lieben, Wahrheit nie, auch sogar am Throne nicht verleugnen.“ Egmont
20 Jahre nach der Mainzer Uraufführung von Goethes „Egmont“ beauftragte die Direktion des k.k. Hofburgtheaters Beethoven mit der Schauspielmusik zu diesem Stück des Aufstands der Niederländer gegen die spanische Herrschaft. Der Tod des niederländischen Grafen Egmont von Gavre, der zusammen mit Wilhelm von Oranien die Adelsopposition anführt, ist auf dessen Naivität gegenüber den Besatzern zurückzuführen. Da hilft auch Klärchens Versuch nicht, die Bürger zu einer gewaltsamen Befreiung aufzufordern und ihren eingekerkerten Geliebten zu befreien. Der Herzog von Alba kennt keine Gnade. Das schöne Klärchen begeht Selbstmord und Egmont selbst wird wegen Hochverrats zum Tode verurteilt.
Beethoven hat das beklemmende Gefühl gegen Unterdrückung und Fremdherrschaft – im Mai 1809 nahm Napoleons Heer Wien ein, erst am 26. November rückten österreichische Truppen wieder in Wien ein, am 27. November kehrte Kaiser Franz zurück – in pathosreiche universelle Töne für Freiheit und Unabhängigkeit von jeglicher Tyrannei gegossen. Insbesondere die Vision der siegreichen Freiheit durch den auf seine Hinrichtung harrenden Egmond hat Beethoven mit einem auftrumpfenden Allegro con brio für alle Ewigkeit knapp euphorisch formuliert.
Die vorliegende Studio-Aufnahme stammt vom Februar/März 2022. Die Zwischentexte nach Friedrich Mosengeil und Franz Grillparzer, ergänzt durch Passagen aus Goethes Trauerspiel wurden von August Zirner, der den Sprechpart im Vergleich zu Bruno Ganz in der Aufnahme mit Abbado/Cheryl Studer (Silvesterkonzert der Berliner Philharmoniker 31.12.91) ruhig-nüchtern gestaltet, neu eingerichtet. Christina Landshamer singt ihre zwei ariosen Lieder differenziert und mit lyrischer Hingabe, der große heroische Jubelton im hohen Register, wie wir ihn von Cheryl Studer oder Pilar Lorengar (in der George Szell Aufnahme mit den Wiener Philharmonikern) kennen, will sich nicht einstellen.
Beethovens leidenschaftliches musikalisches Plädoyer, die Worte mit einer zusätzlichen Bedeutungsebene ausstattende und trotz aller Plakativität ungemein kunstreiche Bühnenmusik besteht aus der Ouvertüre, dem Lied „Die Trommel gerühret“, Zwischenakt I: Andante, Zwischenakt II: Larghetto, dem Lied „Freudvoll und leidvoll, gedankenvoll sein“, Zwischenakt III: Allegro, Zwischenakt IV: Poco sostenuto e risoluto, Musik zu Klärchens Tod, einem Melodram und der Siegessymphonie.
John Fiore dirigiert das Münchner Rundfunkorchester – comme il faut – mit pathetischem Trompetengeglitzer, Verve, hoffnungstrunken aber zudem düsteren, Unruhe verströmenden Zwischentönen, die der Partitur erst ihre humanistische, jeglicher „edlen Seele“ gewidmete Flughöhe verleihen. Rein instrumental bleiben keine Wünsche offen. Besser geht es nicht. Wie sehr Beethoven am „Egmont“ getüftelt hat, zeigt sich auch darin, dass die Musik zur Premiere am 24.5.1810 noch nicht fertig war. Erst die dritte Wiederholung fand mit Musik statt.
Das CD-Set besteht aus zwei Teilen: Die erste CD bietet die Gesamtaufnahme des Egmont Op. 84 mit Text. Auf der zweiten CD ist ‚nur‘ die Egmont-Musik zu hören. Als Ergänzung wird hier die Ouvertüre in C-Dur, Op. 115 „Zur Namensfeier“ präsentiert. Diese sollte am Namenstag des Kaisers Franz I. von Österreich, dem 4.10.1814, fertig sein, woraus aber wieder einmal nichts wurde. Sie ist dem polnischen Prinzen Antoni Radziwiłł gewidmet. Falls Sie ein verwandtes Motiv zu der neun Jahre später komponierten 9. Symphonie heraushören sollten, so täuschen Sie sich nicht.
Dr. Ingobert Waltenberger