CD/LP „ANIMA SACRA“- JAKUB JÓSEF ORLINSKY singt vergessene barocke Sakralmusik – darunter sieben Weltersteinspielungen von Fago, Terradellas, Sarro, Feo, Schiassi und Durante; ERATO
Der polnische Countertenor Jakub Józef Orlinsky, Träger des ersten Preises bei den renommierten Metropolitan Opera’s National Council Auditions 2016 in New York, lädt uns in seinem ersten Solo-Album zu einer spirituellen Erkundung überwiegend unbekannter barocker Vokalmusik der ersten Hälfte des 18.Jahrhunderts. Yannis François hat sich in Archiven auf die Suche nicht nur nach Repertoireraritäten, sondern auch den Qualitäten der Stimme entsprechenden Manuskripten gemacht. Eine gute Idee, um diesen neuen Countertenor mit geistlicher Musik aus der Zeitspanne 1709 bis 1750 vorzustellen, und nicht den immer gleichen „best-of“ Händel-Recitals nicht noch eins draufzusetzen.
Ein großer Teil der neuen CD ist Kompositionen des in Neapel beheimatet gewesenen Nicola Fago gewidmet. Neben der Arie „Alla gente a Dio diletta“ aus dem Oratorium „Il Faraone sommerso“ hat Orlinsky zwei gesamte Motetten aus dessen Feder, und zwar „Confitebor tibi, Domine“ (Text aus dem Psalm 110) und „Tam non splendet sol creatus“ (eine Hymne an Jesu Geburt) aufgenommen.
Daneben kann sich der junge Tenor, der sich spätestens mit diesem Album in die allererste Reihe der jungen Generation an Countertenören empfiehlt, in atmosphärisch und vom Temperament her so unterschiedlichen Arien wie Johann Adolf Hasses „Mea tormenta, properate!“ aus dem Oratorium „Sanctus Petrus et Sancta Maria Magdalena“, dem über 10 Minuten langen „S’una sol lagrime“ aus Jan Dismas Zelenkas „Gesú al Calvario“ oder „L’agnelletta timidetta“ aus Gaetanos Maria Schiassis „Maria Vergine al Calvario“ stilistisch, aber auch in höchsten Lagen und virtuosesten Verzierungen austoben. In diesem überwiegend der neapolitanischen Schule gewidmeten Album kommen aber auch noch Francesco Feo, ein Schüler Fagos, oder Franceso Durante mit kurzen effektvollen Stücken zu Tonträger-Premieren. Der Katalane Domènec Terradellas, ein Schüler Durantes und somit auch musisch gelernter „Neapolitaner“, überrascht in seinem „Donec ponam“ aus „Dixit Dominus“ mit Jubelton und Bravour. Das italienische Originalklangensemble „Il Pomo d‘Oro“ unter der kundigen Leitung von Maxim Emelyanychev ist dem Sänger ein wissender und partnerschaftlicher Begleiter voller klanglicher Überraschungen. Da hat wohl jemand Champagner in den Messkelch gemischt.
Den Namen Jakub Józef Orlinsky wird sich jeder, der an Barockmusik und lupenrein intoniertem Gesang interessiert ist, wohl merken müssen. Wiewohl Orlinsky, ebenso begeisterter Breakdancer wie Sänger, der seraphischen Fraktion unter den Countertenören wie etwa Jaroussky angehört, ist sein edles Timbre besonders reichhaltig und mit hohem Wiedererkennungswert ausgestattet. Technisch ist Orlinsky ebenfalls ohne Fehl und Tadel, alle Verzierungen werden exakt konturiert wie am Schnürchen abgespult. Manchmal mischt sich in den engelsgleichen Vortrag der Hauch einer rauchigen Note. Die ungewöhnliche Kombination „Honig mit Whisky“ wird Musikfreunde nicht nur in der Weihnachtszeit in Scharen anlocken. Natürlich ist dieses Debüt-Album auch vom Repertoirewert her ein Wurf!
Dr. Ingobert Waltenberger