CD Louis-Noël Bestion de Camboulas „SOLEILS COUCHANTS“ – Musik für Salonorgel, Sopran, Bariton, Alt und Harfe von Liszt, Fauré, Paladilhe, Debussy, Wolf, Reger, Franck, Boulanger; harmonia nova #8
Junge Musikerinnen und Musiker erhalten in der Reihe harmonia nova # die Gelegenheit, ihre Kunst via des Mediums CD einem breiteren Publikum vorstellen zu können. Ist es nicht auch einen wichtige Aufgabe des Kritikers, überregional wenig bekannte Interpreten und wenig beachtete bis vergessene Schöpfungen der Tonkunst vor den Vorhang zu holen? Natürlich unter der Voraussetzung eines außergewöhnlichen Konzepts, einer individuell unverbrauchten Interpretation oder der Öffnung von neuen Zugängen zu scheint’s Altbekanntem. Eigentlich brauchen uns Netrebko, Kaufmann & Co. nicht, auch wenn mir bewusst ist, dass die Leserschaft nicht auf Nachrichten von Superstars abseits des Boulevards verzichten will.
Also stellen wir heute einen jungen französischen Organisten und Dirigenten vor, der auch schon im Berliner Dom zu hören war. Louis-Noël Bestion de Camboulas präsentiert auf der großen Orgel des Aristide Cavaillé-Coll aus der Abtei Royaumont (1864) Transkriptionen verschiedener Instrumental- und Vokalkompositionen. Mit dem Titel des Albums ist ein Gedicht von Paul Verlaine apostrophiert, das Nadia Boulanger vertont und unser Organist selbst für Salonorgel adaptiert hat.
Unter der Salonorgel darf sich der Hörer in diesem Fall kein kleines Wohnzimmerinstrument vorstellen. Die Cavaillé-Coll war ursprünglich im Großen Salon der Villa eines Herrn Marracci am Genfer See installiert. Freilich entspricht der Klangcharakter dieses weltlicher Musik gewidmeten Edelinstruments gegenüber einer großen Kirchenorgel doch kammermusikalischen Dimensionen sowie einer gewissen Intimität. Im 19. Jahrhundert waren Transkriptionen symphonischer Musik oder die Adaption von Liedgut in verschiedenen Konstellationen für den Hausgebrauch absolut an vogue. Louis-Noël Bestion de Camboulas will nun mit seinem Programm die Salonatmosphäre Ende des 19., Beginn 20. Jahrhundert mit Kompositionen deutscher, österreichischer und französischer Provenienz wieder auferstehen lassen. Unterstützt wird er dabei vom Kleeblatt Eugénie Lefebvre (Sopran), Étienne Bazola (Bariton, in Wien bereits in Lullys „Armide“ und Rameaus „Zoroastre“ zu hören), Adrien La Marca (Bratsche) und Lucie Berthomier (Harfe).
Die musikalische Bandbreite des „Salonabends“ in Royaumont ist beeindruckend. Sie reicht von der Bearbeitung Liszts symphonischer Dichtung „Orpheus“ für Bratsche und Orgel, der „Sicilienne“ diesmal nur für Orgel aus der Orchestersuite „Pelléas et Mélisande“ von Gabriel Fauré, dessen Liedzyklus „L’Horizon chimerique“, „Deux Danses“ von Claude Debussy in der reizvollen Kombination Harfe und Orgel, dem großen Orgelchoral Nr. 3, Op. 40, in a-Moll von César Franck bis hin zu zwei schönen Liedern von Nadia Boulanger.
Um die Balance zwischen Instrument und Stimmen zu gewährleisten, aber auch das Innenleben der Eisberg-Maschinerie Orgel (von der nur ein winzig kleiner Teil sichtbar ist) einzufangen, wurden Mikros auch in der Orgel platziert.
Die CD ist rundum gelungen. Der reiche Klang der Orgel mit ihrem Feuerwerk an Farben und Glanz, die komplementären Dialoge von Orgel mit Harfe und Bratsche, aber auch die schönen Stimmen von Lefebvre und Bazola tauchen diese romantischen Stücke in ein besonders flauschig flackerndes Kerzenlicht. Die Orgel einmal abseits von feierlicher Kirchenmusik erleben zu dürfen, ist ein weiteres Schmankerl. Neu gehört, neu erlebt, wollen wir dieser CD die breite Aufmerksamkeit wünschen, die sie verdient.
Dr. Ingobert Waltenberger