CD „LONDON circa 1720“ – CORELLI’S Legacy, LA RÊVEUSE; harmonia mundi
Konzerte und Sonaten von William BABELL, Francesco GEMINIANI, Arcangelo CORELLI, Georg Friedrich HÄNDEL, Johann Christian SCHICKHARDT und Nicola Francesco HAYM
Das zehnköpfige französische Ensemble La Rêveuse geht in seinem Debüt-Album für das Label harmonia mundi dem Instrumentalmusikschaffen in London um 1720 nach. Die zeitliche und stilistische Klammer bilden Werke von Corelli und Händel. Dabei konnten die Archivwühlmäuse wohl aus dem Vollem schöpfen, sind doch die Bibliotheken mit überlieferter Musik aus dem England des frühen 18. Jahrhunderts rappelvoll gefüllt. Der Zeitgeschmack war so richtig italienisch gefärbt, kapriziöse Diven und Kastraten beherrschten damals die Bühnen mit ihren aus sog. Kofferarien gespeisten Pasticcios. Die virtuoseste und extravaganteste Zwitschergurgel war die Sensation in der Vokalmusik und sonst nichts. Komponistenstars wie Nicola Haym, Giovanni Bononcini und Alessandro Scarlatti beherrschten die Säle, bevor sie flugs mit einem Fußtritt vom garnicht treuen Thron des Publikumsgeschmacks befördert wurden, nun ja, weil eben Händel die Szene betrat.
Händel war aber nicht nur als Opernkomponist gefragt, die nach Musik gierigen höfischen Scouts und die bürgerlichen Salons rissen den Komponisten alles noch feuchte Notenpapier aus der Hand, was für ein kleineres Publikum bestimmt und von wenigen begabten Multiinstrumentalisten ausführbar war. Die Verlage profitierten so mehrfach von ihren notenfabrizierenden Goldeseln.
Auf der CD hören wir eine kammermusikalische Version für Querflöte und Streicher der Arie ‚Spera si mio caro bene‘ aus der Oper „Admeto“ von Händel. Die Arie wurde auf Verlangen der berühmten Primadonna Faustina Bordoni nachträglich der Oper hinzugefügt. Desgleichen spielen La Rêveuse einen Händelschen Jugendstreich, das Concerto a quattro in d-Moll, früher Telemann zugeschrieben, weil die Instrumentierung dafür gesprochen hätte – wäre da nicht ein Manuskript aus der Sammlung Schönborn-Wiesentheid aus dem Archiv der Unibibliothek Darmstadt, das das Gegenteil beweist. La Rêveuse stellt noch ein drittes Werk Händels vor, die Sonate für Viola da Gamba in g-Moll.
Corelli und sein Schüler Geminiani dürften vielen Freunden barocker musikalischer Lustbarkeiten ein Begriff sein. Ihre auf dem Album aufgenommenen Sonaten gehören zu den instrumentalen Spitzenschöpfungen der Epoche. Corellis Sonata IV Op. 6 nach Motiven aus den Concerti grossi Nr. 1 und 2 Op. 6 wiederum erklingt in einer Bearbeitung von Johann Christian Schickhardt. Der Braunschweiger Komponist ist mit einem reizvollen Concerto II Op. 19 für zwei Blockflöten, zwei Querflöten und basso continuo vertreten. Der Verleger John Walsh hat nicht nur letzteres Werk, sondern auch das Concerto II Op. 3 von William Babell veröffentlicht. Es handelt sich um eine typische Zwischenaktmusik für Opern, mit denen die damals berühmten Flötisten John Bastion und James Paisible in den Pausen für Furore gesorgt haben. Die CD schließt mit einer Adaption der Arie ‚Thus with thirst my souls expiring‘ von Alessandro Scarlatti durch Nicola Francesco Haym in einem Arrangement des Pietro Chaboud.
Die Meister von La Rêveuse mischen in die virtuos ziselierten Wunderkammermusiken empfindsame Klänge, die üppige Farbpalette der Streicher erstaunt immer wieder. So manche Akuratesse in den oberen Registern trifft auf den reinsten Wohllaut der Flöten, die die menschliche Stimme mit ihren silbrig blitzenden Koloraturen imitieren.
Mit so einem Album außerhalb aller hektischen Betriebsamkeit kann dem Alltag und seinen Banalitäten, vielleicht auch allen unser Zusammenleben aktuell ordnenden Ge- und Verboten in barocker Gelassenheit enteilt werden. Das wild zusammengestückelte Potpourri möge der sanften Entschleunigung und inneren Behauptung dienen.
Dr. Ingobert Waltenberger