CD LISETTE OROPESA „Mes Amores son las Flores“ – Zarzuelas mit Wehmut und Pfiff; EuroArts
Zuerst war es Tenor Juan Diego Florez, der jüngst mit einem neuen Zarzuela-Album sein eigenes Plattenlabel einweihte. Nun ist es die lyrische Koloratursopranistin Lisette Oropesa, die auf dem Label EuroArts zehn Kostproben dieser so spezifisch spanischen „Operetten“-Arien vorstellt. Das Album ist, um gleich einen Kritikpunkt vorwegzunehmen, mit nur knapp 44 Minuten etwas dürftig bestückt. Sonst schweigt allerdings des Merkers Kreide, weil besser können diese von der Atmosphäre her so unterschiedlichen vokalen Stimmungsbilder nicht gezeichnet werden.
Sehr, sehr erfreulich, dass sich wieder einmal eine Amerikanerin dieses so reizvollen wie noch immer in unseren Breiten rar bis gar nicht aufgeführten Repertoires annimmt. Viele kennen die wunderbaren, kastagnettenzündenden, virtuos auftrumpfenden, federleichten Zarzuela-Aufnahmen mit den Primadonnen de los Angeles, Lorengar, Caballé oder Berganza. Die meisten einschlägigen LPs bzw. CDs davon sind leider nur noch antiquarisch erhältlich.
Von blitzendem Temperament, Koloraturfreudigkeit, verhangener mädchenhafter Träumerei und sonnig reichhaltigem Timbre her ist Lisette Oropesa her eine wahrlich luxuriöse Besetzung für diese Vokalpreziosen aus den Federn von Ernesto Lecuona (zwei Arien aus „Maria la O“, 1930), Francisco Asenjo Barbieri („El barberillo de Lavapiés“, 1874), Gerónimo Giménez & Antonio Vives („El Húsar de la guardia“, 1904), Manuel Penella („Don Gil de Alcalá“, 1932), Pablo Luna („El nino judio“, 1918), Pablo Sorozábal („La taberna del puerto“, 1936), Ruperto Chapí („Las hijas del Zebedeo“, 1889), Federico Moreno Torroba („Monte Carmelo“, 1939) und Gonzalo Roig (Cecilia Valdés“, 1932). Die Zeitspanne der Kompositionen umfasst also Stücke in der Zeit von 1874 bis 1939.
Eine der besten Lucias, Violettas und Gildas unserer Tage, fühlt sich Lisette Oropesa auch in der spanischen Vokalmusik hörbar heimisch. Für Oropesa geht es nicht zuletzt um die Geschichten hinter den Stücken, denn die Musik transportiert Narrative, die uns berühren, und etwas angehen, weinen oder lachen machen.
Außerdem fühlt sich Lisette Oropesa als Kind kubanischer Immigranten in die USA und spanischen bis katalanischen Wurzeln mit dem Idiom, der Atmosphäre und dem Klang der Zarzuela-Musik äußerst vertraut. Ihre Mutter sang die Melodien der kleinen Lisette zu Hause vor, ihre kubanischen Großeltern waren sowieso damit auf Du und Du. Sie erzählten stolz von ihren Ausflügen zum Zarzuela Theater in Havanna. Außerdem besaß Oropesas Opa eine wertvolle Sammlung solcher Schallplatten.
Das Genre wurde im 17. Jahrhundert geboren, aber erst Mitte des 19 Jahrhunderts vor allem in Spanien so richtig populär. Laut Emilio Casares Rodicio gab es über tausend Zarzuela-Komponisten. Sie haben ca. 11.000 dieser Werke in Spanien und 4000 in Lateinamerika hinterlassen. Zarzuela Theater gab und gibt es nicht nur in Madrid, sondern auch in Kuba, Mexiko und Peru, um nur einige zu nennen. Alleine in Kuba wurden 2500 Zarzuelas geschrieben, darunter diejenigen, die auf diesem Album Arien von Ernesto Lecuona und Gonzalo Roig repräsentiert sind. Sie stellen einen Mix vor allem aus kreolischen und spanischen Ursprüngen dar. Verschiedene Unterformen wie die zarzuela grande, chica oder bufa erhöhen die Attraktivität des Genres. Gesang, gesprochener Text, Tanz bilden die Ingredienzien dieser volkstümlichen Theaterform, die die Emotionen, Sorgen, die Inkongruenz verschiedener Bevölkerungsgruppen und das pralle Leben diverser sozialer Milieus widerspiegelt. Die Bandbreite des von den Solisten Verlangten reicht von der Natürlichkeit populärer Melodien, kunstvoll-eleganten Kantilenen bis komplex belkantistischer Bravour.
Lisette Oropesa hat die Rhythmen und spezifischen Tempi im Blut, die mulata de rumbo, die habanera, den fandango oder mexikanischen jarabe. Mit Charme und Thrill, wunderschön melancholisch umflorten Sangesbögen und glitzernden Koloraturen samt gleißenden Spitzentönen ist Oropesa ein genuin stilechtes, aufregend energetisches Album gelungen. Nicht wenig zum Erfolg und positiven Gesamteindruck tragen ihre in Sachen Zarzuela berufenen Partner, das Orquestra Titular del Teatro Real sowie der Coro de la Comunidad de Madrid (in vier der zehn Nummern präsent) unter der beschwingten musikalischen Leitung von Óliver Díaz bei.
Oropesa will mit ihrem Album an spanischen und kubanischen Zarzuela-Highlights ein Spotlight auf diese Musik werfen und vielleicht auch ein paar Operngänger von der besonderen Qualität und Originalität dieses Repertoires überzeugen. Wir wünschen ihr dabei viel Erfolg.
Empfehlung!
Dr. Ingobert Waltenberger