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CD LIBERTÀ! – MOZART et L’OPERA – Raphaël Pichon lädt zu einem genüsslichen musikalischen Aperitiv, harmonia mundi

22.08.2019 | cd

CD LIBERTÀ! – MOZART et L’OPERA – Raphaël Pichon lädt zu einem genüsslichen musikalischen Aperitiv, harmonia mundi

Für alle, die sich wundern, dass ein ähnliches  Programm „Auf den Spuren den Spuren der Entstehung des Mozart’schen Da Ponte-Zyklus“ am 17. und 18. August bei den Salzburger Festspielen lief und jetzt schon als CD vorliegt: Nein, da wird nicht der Neujahrskonzertproduktionsrekord überboten. In Salzburg verfolgte Pichon nur dieselbe Idee, setzte sie aber mit großteils anderen Solisten und dem Mozarteum Orchester Salzburg um.

Beim neuen Album handelt es sich um eine gediegene, sehr gut gearbeitete Studioproduktion, die im Oktober 2018 in der Église Protestante Uni du Saint Esprit mit den Kräften des Orchesters Pygmalion und der jungen Sängerriege Sabine Devieilhe, Siobhan Stagg, Serena Malfi, Linbard Vrielink, John Chest und Nahielo di Pierro realisiert wurde.

Bevor sich der junge umtriebige junge Dirigent Raphaël Pichon an die Da Ponte Trilogie wagt, hat er sich klugerweise mit Mozarts Opernschaffen der Jahre 1782 bis 1786 intensiv auseinandergesetzt. Verborgene bzw. weniger bekannte Vokal- und Instrumentaljuwelen – unter die drei altbekannten Unter-Titel „La Folla Giornata“, „Il Dissoluto Punito“ bzw. La Scuola degli Amanti“  zusammengefasst – sollen den neuen aufklärerischen Geist bzw. die frisch gefundene private und berufliche Freiheit Mozarts musikalisch belegen. Biographisch handelt es sich um den Zeitraum, in dem er sich von seinem Vater als auch dem Fürst-Erzbischof Hieronymus von Colloredo, löst. 1784 tritt Mozart der Freimaurerloge „Zur Wohltätigkeit“ bei.

Diese Epoche stellt ein lupenreines musikdramatisches Laboratorium in künstlerisch für Mozart unentdeckten Landen dar. Der Komponist mit seinen höchst präzisen Ideen an einen idealen Bühnenmikrokosmos durchpflügte mehr als hundert Libretti auf der Suche nach einem geeigneten Stoff. Er dürfte diesbezüglich ein überaus schwieriger kompromissloser Partner gewesen sein, wie aus dem umfangreichen Briefwechsel mit dem Salzburger Abt Giambattista Varesco, dem Librettisten des Idomeneo, gefolgert werden kann. So muss auch das Projekt einer weiteren gemeinsame Oper „L’oca del Cairo“ unvollendet bleiben.

Das heißt aber nicht, dass Mozart sich in diesen Jahren davon abhalten ließ, Opern, wenn auch unvollendet, Ouvertüren, Arien, Canons und Nocturnes zu komponieren, die eine stilistische Entwicklung hin zu einem komplex psychologisierenden Orchester veranschaulichen. Mozart wollte immer Theatermacher sein, wie die auf dieser Aufnahme enthaltenen vielleicht intimeren Formen zeigen.

Pichon hatte nicht die Absicht, mit seinem drei Miniatur-Vorwegnahmen der Da Ponte Opern „Le nozze di Figaro“, „Don Giovanni“ und „Cosi fan tutte“ ein Pasticcio zu schaffen und noch weniger die bei Recitals ewig üblichen Arien aneinanderreihen. Es schwebte ihm vor, die Atmosphäre und den Duft der späteren Meisterwerke mittels einer jeweils guten Mischung aus „buffa“ und „seria“, aus Arien, Duetten, Instrumentalstücken und Ensembles, die bislang als marginal galten, vorzuzaubern. Da ist ihm und seinem in jeder Hinsicht fabelhaften Mozart-Ensemble trefflich gelungen. Diese Truppe besteht aus einem leichten und einem lyrischen Sopran (Sabine Devieilhe, Siobhan Stagg), einem leichten Mezzo (Serena Malfi), einem tenore di grazia (Linbard Vrielink), einem lyrischen Bariton (John Chest) und einem Bassbuffo (Nahielo di Pierro). Ein Wissenschaftler und ein Komponist, Pierre-Henri Dutron und Vincent Manac’h, haben bei der Bearbeitung assistiert, wo nur wenige Angaben zur Orchestrierung vorlagen.

Um zu zeigen, wie sich die späteren Meisterwerke Mozarts in den Zeitgeist gefügt haben, wurden auch Ausschnitte aus Opern von Komponisten wie Giovanni Paisiello („Il barbiere di Siviglia“), Vicente Martín y Soler („Una cosa rara, o sia Bellezza ed onesta“) und Antonio Salieri („La scuola de‘ gelosi“) mit ins Programm genommen.

Im Übrigen hören wir eine Montage von dramaturgisch mehr oder weniger geschickt ausgewählten Ausschnitten aus den Opernfragmenten „Lo sposo deluso“, „L’oca del cairo“ und „Thamos, König von Ägypten“, weiters aus „Der Schauspieldirektor“ und „Idomeneo“. Den musikalischen Reiz macht aber nicht zuletzt die Untermischung der bravourösen Konzertarien  KV 528, 432, 583, 420, 419 aus.

Nehmen wir uns die Freiheit, unseren Mozart einer präzise umrissenen Schaffensphase mit dieser neuen Perspektive auf Fragmentarisches aus dem Eck des Peripheren oder gar Uninteressanten zu holen. Die künstlerische Redlichkeit und die musikalische Qualität der beiden CDs sind in jedem Fall stupend. Schwelgen Sie außerdem in den unverbrauchten, edel timbrierten Stimmen junger Sängerinnen und Sänger, die für die Zukunft des Mozart-Gesangs Gutes erwarten lassen.

Dr. Ingobert Waltenberger

 

 

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