CD LEONARDO VINCI: DIDONE ABBANDONATA – Bearbeitung von G.F. HÄNDEL 1737, Weltersteinspielung; deutsche harmonia mundi
Was war das doch für ein anspruchsvolles, sensationslüsternes Publikum im frühen 18. Jahrhundert, das ewig nach Neuem lechzte und nach ein paar Aufführungen das Interesse an einer Oper verlor? Glück und Wehe eines Impresarios hing von dem Geschick ab, das spektakulärste Neue mit den besten Stars zu bieten, sonst blieb die Kassa leer, zumal in London. Georg Friedrich Händel war ein Tausendsassa, der sich perfekt dem Zeitgeist anpasste, nicht nur eigene Opern schrieb und vermarktete, sondern als Theaterleiter in Covent Garden zudem sogenannte Pasticcios zusammenstellte. Das waren Musiktheateraufführungen mit Arien verschiedener Komponisten oftmals nach dem Willen und der momentanen Laune der weiblichen und männlichen Primadonnen. Urheberrecht gab es nicht, so wurde gestohlen, was nicht niet- und nagelfest, gut und frisch war. Auch Händel bildete da keine Ausnahme. „Pasticcio“ erinnert als Wort irgendwie an Restlessen, also den zusammengerührten Mischmasch an Essbarem, der noch im Kühlschrank ist.
Im Falle der Bearbeitung der neapolitanischen Oper „Didone abbandonata“ von Leonardo Vinci verhält es sich jedoch anders. Hier ist Händel ein exzellentes Arrangement geglückt. Die Mehrzahl der Arien (13 von 22) beließ er im Original, kürzte die Rezitative (was für eine Wohltat) und fügte dramaturgisch geschickt erstklassige Arien bspw. von Giacomelli, Hasse oder Vivaldi in den Handlungsablauf ein. In der Londoner Operngeschichte sollte Händels Bearbeitung das erste von insgesamt acht Pasticcios auf der Basis von Metastasios „Didone Abbandonata“ sein. Händel brachte es mit seinem Werk allerdings nur auf vier Aufführungen, dann war Schluss. Erst eine szenische Produktion in der Saison 2015/2016 beim „Winter in Schwetzingen“ reanimierte diese durchwegs musikalisch erfreuliche galante Oper. Die Lautten Compagney absolvierte mit großem Erfolg die deutsche Erstaufführung.
Das nun publizierte Album ist eine sorgfältige Studioproduktion vom November 2016 aus Berlin. Dirigent Wolfgang Katschner und seine lautten compagney Berlin stützten sich auf die kritische Edition von Händels Londoner Dirigierpartitur durch Gerd Amelung. Das Orchester setzt überwiegend auf die Streicher und das Cembalo, nur Hörner, Oboen und Lauten bereichern zusätzlich das Klangfarbenspektrum. Das Protagonistenpaar Didone und Enea sind nicht mit Counters, sondern einmal mit weiblichen Stimmen, konkret mit Robin Johannsen (Sopran) und Olivia Vermeulen (Mezzo) vorzüglich besetzt. In den jeweils sechs großen Arien, die beide Teile des Liebespaars voller Bravour, gestochen präziser Läufe und emotionaler Intensität gestalten, geht es mehr oder weniger immer nur um „Bleibt er“ oder „Geht er?“ und die dadurch bei Didone ausgelöste Zerrissenheit zwischen Liebe und Hass, Verzweiflung und Stolz. Sie weiß, dass ihr Enea sie verlassen wird, muss er doch im väterlichen Auftrag nach Latium, um dort Rom zu gründen. In der Handlung kommen noch Jarbas (Antonio Giovanini – Countertenor, vom Timbre her gewöhnungsbedürftig), der König eines Nachbarlandes, der Didone heiraten will, sein Vertrauter Araspe (exzellent der Tenor Namwon Huh) und Didones Vertraute Osmida (Polina Artsis) zierreich zu gesungenem Wort. Natürlich muss es auch noch weitere Verstrickungen geben, denn auch Selene (Julia Böhme) liebt Eneas.
Das Drama nimmt seinen Lauf und wir erleben einen der besten Opernschlüsse überhaupt: In drei Accompagnato Rezitativen geht die Königin in ihrem brennenden Palast unter. Gestammelte Wortfetzen und abgerissene Phrasen, fast im Wahnsinn will sie dem treulosen Enea mit ihrem Schicksal ein finsteres Vorzeichen mit auf den Weg geben. Hier hören wir Vinci pur, die Theaterpranke Händels wusste nur zu gut um die Wirkung dieses phänomenalen Finales (das er später in seinem Oratorium Hercules imitierte). Zuvor darf aber in den vorstellbar schönsten Arien geschwelgt werden. Beinahe belkanteske Gesangslinien und damit fantasiereich ornamentierte Trillerketten und Koloraturen lassen jedes Melomanenherz höher schlagen. Wolfgang Katschner und sein sängerisch hinreissendes Team hat mit dieser Wiederbelebung einen echten Hit gelandet. Die Aufnahmetechnik genügt hohen audiophilen Ansprüchen, Orchester und Stimmen werden in perfekter Balance ins Wohnzimmer geliefert.
Dr. Ingobert Waltenberger