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CD: Leonard Bernstein „A QUIET PLACE“

21.07.2018 | cd

Doppel-CD:
Leonard Bernstein
„A QUIET PLACE“
Montreal Symphony Orchestra
Dirigent: Kent Nagano
Decca 2018

Diese CD kommt gerade richtig für den Dirigenten und den Komponisten. Kent Nagano, heuer bei den Salzburger Festspielen stark vertreten (wo er das Festival mit einer Aufführung der „Lukaspassion“ von Krzysztof Penderecki eröffnete und noch die Aufführung von Henzes „Bassariden“ leiten wird), und Leonard Bernstein (1918-1990) feiert noch immer seinen 100. Geburtstag. Man weiß, dass sein Wunsch, die große amerikanische Oper zu schreiben, nicht erfüllt wurde (denn „West Side Story“ möchte man bei aller Bewunderung für das Werk doch nicht dafür halten). Aber „A Quiet Place“ war sein wohl nachdrücklichster Versuch in dieser Richtung.

Es ist Bernstein-untypisch und wird entsprechend selten gespielt. Und das Werk ist auch szenisch ungemein schwierig zu realisieren, wie erst kürzlich eine Wiener Aufführung gezeigt hat – beginnend mit einem Begräbnis, wird man in die ebenso komplexen wie verqueren Verhältnisse in einer amerikanischen Familie eingeführt.

Musikalisch ist Bernstein meilenweit von seiner melodienseligen Musical-Gefälligkeit entfernt, hier hat er ohne Rücksicht auf ein Publikum, das Leichtes von ihm wollte, eine moderne Oper komponiert, bei der man manchmal meint, Adès voraus zu hören. Sänger, denen präzises Parlando abverlangt wird, ein Orchester, das in widersprüchlichen Stilen wechselt. Da die Oper so notorisch erfolglos war, hat sie manche Bearbeitung erfahren – die kammermusikalische Fassung von Garth Edwin Sunderland wurde übrigens auch in Wien gespielt.

Jedenfalls ist „a quiet place“ als Bezeichnung reine Ironie, denn ungeachtet des Begräbnisses zu Beginn kommt es szenisch und musikalisch schnell zu beträchtlichen Turbulenzen. Nun erlebt man die vorliegende CD wie ein gesungenes Hörspiel, wobei man, wenn man gewissenhaft sein will, auch mitlesen kann – die Doppel-CD legt ein Beiheft mit dem Libretto bei (Englisch und Französisch, leider nicht auf Deutsch).

Hier müssen alle minimalische Arbeit leisten, und sie tun es, das Montreal Symphony Orchestra vollzieht alle von Bernsteins dauernd wechselnden, raffinierten Rhythmen nach, die durchwegs exzellente Besetzung besticht durch Wortdeutlichkeit und eine Ausdruckskraft, die man beim Mitlesen am besten nachvollzieht. Und alles läuft natürlich bei Kent Nagano zusammen, dessen Verständnis für Leonard Bernstein wohl auch aus der Zusammenarbeit resultiert, die der Dirigent in Bernsteins letzten Lebensjahren mit ihm noch erleben durfte.

Diese CD entdeckt „A Quiet Place“ quasi neu. Jetzt müsste noch die überzeugende szenische Umsetzung der schrägen Geschichte gelingen – die möglicherweise eindrucksvoller ist, wenn man sie nur hört, nicht sieht.

Renate Wagner

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Leonard Bernstein:
A QUIET PLACE

Claudia Boyle … Dede
Joseph Kaiser … François
Gordon Bintner … Junior
Lucas Meachem … Sam
Rupert Charlesworth … Funeral Director
Daniel Belcher … Bill
Annie Rosen … Susie
Steven Humes … Doc
Maija Skille … Mrs Doc
John Tessier … Analyst

Montreal Symphony Orchestra Chorus
Montreal Symphony Orchestra
Kent Nagano, Conductor

 

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