CD „LEGENDARY PIANISTS“ – ORFEO-Jubiläumsedition zum 40. Geburtstag des Labels; ORFEO
Alle guten Dinge sind drei: Drei fein geschnürte und hübsch gemascherlte „Packerl“ mit dem Besten aus den Archiven macht sich das Label selbst und seinen Fans zum Geschenk. Sie sind jeweils als 10-er CD-Sets erhältlich. Nach den legendären Dirigenten und Stimmen sind final die Pianisten an der Reihe. Neun Tastentiger sind in memorablen Aufnahmen von 1953 (Gulda) bis 2010 (Lifschitz) vertreten.
Vier Beispiele möchte ich aus all den berühmten Aufnahmen, die bereits als Einzelalben erhältlich waren, herausheben:
- Schon das erste Klavierkonzert von Beethoven in C-Dur, live mitgeschnitten am 9. März 1968 im Herkulessaal der Münchner Residenz mit dem Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks unter der geerdeten musikalischen Leitung von Rafael Kubelik, wird viele Hörer entzücken. Mit welcher Élégance und elastischen Leichtigkeit, mit welchem hingehauchten Streifen der Tasten (berührt er sie überhaupt?) der ungarische Grandseigneur unter den Pianisten Läufe im Pianissimo perlen lässt und im Rondo das ‚Tanzbein‘ trittsicher schwingt, ist stupend. Damit gibt es ganz zu Beginn der Box einen Höhepunkt. Für Neugierige: Orfeo hat dieses Beethoven-Konzert mit Anda noch mit den Wiener Philharmonikern unter Lorin Maazel (Salzburg 1963) im Programm.
- Der argentinische Pianist Bruno Leonard Gelber gibt Variationen von Beethoven, darunter die 15 Variationen mit Fuge in Es-Dur, auch ,Eroica Variationen‘ genannt, zum Besten. Schüler u.a. desselben Lehrers wie Martha Argerich oder Barenboims Vater ihn hatten (Vincenzo Scaramuzza) und früh am Zenit seiner Möglichkeiten, erleben wir Gelber in dieser aus dem Jahr 1983 stammenden Aufnahme als ordentlich manieriert. Den ,Eroica Variationen‘ stehen aber diese exzentrischen Zaubermäntelchen mit unorthodoxen Temporückungen gut zu Leibe. Emotional durchstreift Gelber den lausbubenhaften Zickzack mit der Schellenmütze genau so intensiv wie die aus der Ferne gespiegelten Reflexionen über das bekannte Ausgangsthema. Ich kenne keine Aufnahme, wo das Experimentelle, das Kantige dieser Musik so greifbar nahe ist wie bei Gelber. Der Pianist scheint sich darüber selbst zu freuen und nutzt alle individuellen Freiheiten im Rahmen der kompositorischen Zügel, darin wie im klaren Anschlag Gulda nicht unähnlich.
- Ein Herzenspianist ist für mich Oleg Maisenberg, in diesem Jahr feierte er seinen 75. Geburtstag. Ich hatte das Glück, diesen instinktiven, aus Odessa stammenden Musiker ab 1981 sehr oft im Wiener Konzerthaus live zu hören. Grandiose Abende voller musikantischer Verinnerlichung und pianistischer Wünschelrutengänge als wohldosierte Ausdrucksmittel eines humanistischen Geists. Wie einst Richter, kann Maisenberg in der Hitze des Gefechts schon mal danebengreifen, allerdings ist Maisenberg immer aufregend in der rhetorischen Wahrhaftigkeit seines Tuns. In Schuberts Fantasie für Klavier in C-Dur Op. 15 („Wanderer Fantasie“) schlüpft Maisenberg nicht in Schuberts Seele (geht ohnedies nicht, behaupten aber viele), sondern zeigt uns die aus dieser Musik destillierten Gefühle eines kritischen Menschen aus dem Hier und Jetzt, nie selbstbezüglich, nie virtuos glatt. Für mich bleibt Maisenberg ein introvertierter Suchender selbst in Momenten höchster Vollendung, stets relevant, stets bohrend. Beim Zuhören fühlen wir uns verstanden, wie bei wenigen anderen Künstlern.
- Ein große Überraschung brachte die Aufnahme der Klavierkonzerte von J.S. Bach Nr. 1 bis 7, BWV 1052-1058, mit Konstantin Lifschitz als Pianist und Dirigent und dem Stuttgarter Kammerorchester. Die Alben stammen aus 2010 und sind damit die jüngsten der Box. Pedal mag er nur wohldosiert (Hurra). Lipschitz zirkelt die Töne ähnlich präzise ab wie Glenn Gould, das flott eingestellte Metronom wird genauso strikt beachtet. Die beschwingt tänzerische Note kommt dem Unterhaltungscharakter der Allegrosätze zugute, in den langsamen Sätzen darf schon einmal über die Welt gegrübelt, dürfen deren Traumpfade beschritten werden.
Die CDs mit Gulda, Kempff, Seemann, Oppitz und Serkin wollen wir ebenfalls nicht missen, wir wissen, welche Wonnen wir an diesen Pianisten verdanken.
Inhalt der „Legendary Pianists“
- Géza Anda Beethoven: Klavierkonzert Nr. 1; Brahms: Klavierkonzert Nr. 2
- Bruno Leonardo Gelber Beethoven: Eroica-Variationen op. 35; 6 Variationen WoO 77; 32 Variationen WoO 80
- Friedrich Gulda Schumann: Klavierkonzert op. 54; Beethoven: Klavierkonzert Nr. 4
- Wilhelm Kempff Beethoven: Klaviersonate Nr. 32; Schumann: Fantasie op. 17
- Oleg Maisenberg Schubert: Wandererfantasie D. 760; Klaviersonate D. 784; Allegretto D. 900; Andantino D. 348
- Konstantin Lifschitz Bach: Klavierkonzerte BWV 1052-1058
- Carl Seemann Mozart: Klavierkonzerte Nr. 14 & 25
- Gerhard Oppitz Brahms: Klaviersonate Nr. 3 op. 5; Klavierstücke op. 119
- Rudolf Serkin Beethoven: Klavierkonzerte Nr. 3 & 5
Als Dirigenten wirken Rafael Kubelik, Joseph Keilberth, Wilfried Boettcher und Leopold Hager, es spielen das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks, die Wiener Symphoniker, das Stuttgarter Kammerorchester sowie das NDR Sinfonieorchester.
Anm.: Auf 2 CDs hat Orfeo auch knackig betitelt „40 Ultimative Recordings“ herausgebracht.
Dr. Ingobert Waltenberger