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CD KLINGENDE THÜRINGER RESIDENZEN – Capella Jenensis mit Werken von Erlebach, Oswald, Kühnel, Herwich, Nicolai, Drese und Krieger; Rondeau

13.01.2024 | cd

CD KLINGENDE THÜRINGER RESIDENZEN – Capella Jenensis mit Werken von Erlebach, Oswald, Kühnel, Herwich, Nicolai, Drese und Krieger; Rondeau

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Da war was los am Hof – zahlreiche Weltersteinspielungen

Heute hat Thüringen etwas über 2 Millionen Einwohner und steht vor allem wegen der Umfragen zu den Landtagswahlen am 1. September 2024 in deutschen politischen Schlagzeilen. Im kulturell-kollektiven Gedächtnis der Barockzeit, Klassik, Romantik wie der Moderne ist Thüringen bzw. deren Höfe untrennbar mit vielen historischen Persönlichkeiten wie Johann Wolfgang von Goethe, Friedrich Schiller, Johann-Sebastian Bach, Lucas Cranach der Ältere, Johann Gottfried Herder oder Franz Liszt insbesondere aus den Städten Erfurt, Jena, Gera, Weimar und Eisenach verbunden.

Zur Zeit der deutschen Kleinstaaterei gab es erstaunlich viele Fürstentümer, die sich Hofkapellen ebenso leisteten wie exquisite Musiker und Komponisten, die ihrerseits wiederum Einflüsse aus Italien, Frankreich und England in sich aufsogen, wie sie zu Hause zu etwas Eigenem zu formen. An den Höfen von Sachsen-Weimar, Sachsen-Eisenach, Sachsen-Gotha, Sachsen-Meiningen, Schwarzburg-Rudolstadt, Schwarzburg-Sondershausen, Schwarzburg-Arnstadt und Greitz gab es meisterliche Instrumental-Ensembles, in denen zu Beginn des 17. Jahrhunderts die Viola da Gamba wesentlich den Klang und die Textur der höfischen Musik bestimmte.

Die Capella Jenensis mit Gertrud Ohse, Tillmann Steinhöfel (Gamben), Claudia Mende, Andrea Schmidt (Barockviolinen), Petra Burmann (Theorbe, Barockgitarre) und Daniel Trumbull (Cembalo, Orgel) erkundete das musikalische Erbe der Barockzeit und wurde u.a. in Bibliotheken aus Gotha, Uppsala, Krakau und Växjö fündig. Aber auch das Schlossjuwel Ebenthal in der Nähe meiner Geburtsstadt Klagenfurt spielt in der Überlieferung insoweit eine Rolle, als Johann Peter Graf von Goess Tänze für Viola da Gamba des Lautenisten und Gambisten Christian Herwich sammelte. Eine reizvolle Suite für Viola da Gamba solo aus der Privatsammlung der Familie kommt hier zu qualitätsvollen CD-Ehren. Dieser Christian Herwich war gemeinsam mit dem Leiter der Hofkapelle Adam Drese und dem Organisten Andreas Oswald bis zum Tod des kunstbeflissenen Herzogs Wilhelm IV. und der Auflösung des „Orchesters“ am Weimarer Hof angestellt. Spannend ist natürlich, dass diese heute vergessenen, oft zu Bildungszwecken weitgereisten Musiker in enger Verbindung und im Austausch mit solchen Kalibern wie J. S. Bach, Heinrich Schütz oder Johann Rosenmüller standen und so etwas wie einen unverkennbar mitteldeutschen und damit mitteleuropäischen Musikstil mit begründeten.  

Von besonderem künstlerischem Charisma zeugt Andreas Oswald, dem auf dem vorliegenden Album die Sonate Nr. 9 á 3 in G gewidmet ist.

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Die Capella Jenensis hat 2023 bei cpo eine eigene CD ausschließlich von Sonaten des Andreas Oswald herausgebracht. Von Weimar, wo Oswald als Hoforganist und Kammermusiker fungierte, ging der junge Witwer nach Eisenach, wo er für (sehr) wenig Salär die Stadtorganistenstelle bekam. 30-jährig starb der hochbegabte Musiker nach einem wahrlich harten, von Schicksalsschlägen gezeichneten Leben.

Der Capella Jenensis kann gar nicht genug gedankt werden, dass sie etwa nach dem Erscheinen einiger Einspielungen von Sonaten durch das Ensemble Chelycus vor ca. 10 Jahren wieder das wundersame Schaffen des Andreas Oswald zur Diskussion stellt und zu unserem Hörvergnügen mit Verve, Lebendigkeit und niemals akademisch wirkenden Stilbewusstsein präsentiert. 18 klein besetzte Ensemblesonaten insgesamt sind erhalten, größtenteils in der Sammelhandschrift des Gothaer Hofmusikers Jacob Ludwig. Die Musik wurde vermutlich überwiegend bei Tafel oder zu Theaterzwecken aufgeführt. Wie Carl-Philipp Kaptain in seiner Einführung festhält, “dokumentieren die Kompositionen Andreas Oswalds eindrucksvoll die ambitionierte Aneignung des modernen virtuosen Instrumentalstils italienischer Prägung im wieder aufblühenden höfischen Musikleben Mitteldeutschlands nach 1650.“ Die Kreativität, Originalität wie das weit gestreute Affektspektrum der Nachkriegs-Stücke sind mehr als bemerkenswert und jede nähere Beschäftigung wert. Gertrud Ohse bringt es mit ihrer Einordnung als „innovativer Waghalsigkeit im Stylus Fantasticus auf den Punkt.

Bei ihrer spannenden Erkundung, wie die frühbarocke Musik an den Thüringer Höfen geklungen haben mag, wurden von der Capella Jenensis neben den erwähnten Musikern aus Weimar auch die Komponisten Philipp Heinrich Erlebach (Sonata prima für Violine, Viola da Gamba & Basso continuo), Johann Krieger (Sonata quarta für Violine, Viola da Gamba & Basso continuo) und Johann Michael Nicolai (Sonata a-Moll) berücksichtigt. August Kühnel ist mit der fast 15-minütigen Aria Solo „Herr Christus, du höchstes Gut“ für Viola da Gamba & Basso continuo vertreten.

Die technisch eine natürliche Brillanz atmenden Aufnahmen der Klingenden Thüringer Residenzen entstanden 2022 in der Jakobskirche Weimar, diejenigen Andreas Oswald betreffend für cpo im April 2021 in der St. Martins Kirche in Jena-Kunitz.

Man kommt aus dem Staunen nicht heraus, wie in formaler Vielfältigkeit, atmosphärisch intim berührend, meditativ bis zu tänzerisch beschwingt und theatralisch packelnd diese kammermusikalischen Eingebungen nichts von ihrer ursprünglichen Strahlkraft verloren haben. Alte Musik für heutige Ohren. Uneingeschränkte Empfehlung.

Dr. Ingobert Waltenberger

 

 

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