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CD Klaviermusik: Neues von Tamar Beraia, Andrea Lucchesini und Nathalia Milstein

22.09.2018 | cd

CD Klaviermusik: Neues von Tamar Beraia, Andrea Lucchesini und Nathalia Milstein

 

TAMAR BERAIA spielt BEETHOVEN und LISZT – Cavi Music

 

Eine CD, die einen angenehm kraftvoll umhaut wie eine mittlere Welle am Atlantikstrand. Die georgisch schweizerische Pianistin Tamar Beraia hat sich zwei Giganten der Musikgeschichte vorgeknöpft und zeigt sich ihnen auf Augenhöhe gewachsen mit einer spektakulär musikantisch und wie Sternenspritzer funkelnden Interpretation der 15 Variationen und Fuge Op. 35 „Eroica“, den Rondos in C-Dur und G-Dur Op. 51 von Ludwig van Beethoven sowie einer unbeschreiblich mutig und von der Poesie der Rubati her zaubervoll gespielten h-Moll Sonate von Franz Liszt.

 

Tamar Beraia  hat sich ihre Favoriten gewählt, die es ihr erlauben, Standards des Ausdrucks zu übersteigen und unerforschte Pfade zu gehen mit der scheinbaren Leichtigkeit und Eleganz einer Gemse im Hochgebirge. Sie selbst nennt es wild und unbegrenzt bei Liszt und standhaft und aufrichtig bei Beethoven. Beraia setzt ihre Töne präzise, bisweilen mit Nachdruck, dann sofort wieder wie flüchtig verwehend, die Vielfalt im Anschlag ist stupend. Wunderbar, wie Tamar Beraia alles innerhalb eines Opus zu einem großen Ganzen fügt, einem kühnen Haus aus Tönen formt, bei dessen rasant voranschreitenden Bau der Hörer dabei sein darf. Man staune und höre.

 

ANDREA LUCCHESINI dialogisiert an- und aufregend zwischen SCARLATTI UND BERIO, SCHUBERT und WIDMANN – Audite

 

Wer sich sonst bei zeitgenössischer Musik plagt, sollte diese CD hören. Altmeister Andrea Lucchesini ist wie kein anderer seiner Zunft berufen, neben struktureller Klarheit und klassischen Proportionen die Kulinarik der Musik zu präsentieren wie ein Haubenkoch sein Galamenü. Bei ihm sitzt jeder Ton in Form wie bei einem Maßanzug. Lucchesini stellt die Stücke nicht hintereinander vor, sondern verwebt Satz für Satz die Sonaten K. 491, 454, 239, 466, 342, 146 von Domenico Scarlatti mit den sechs geheimnisvollen Encores von Luciano Berio sowie die sechs musikalischen Sätze für Klavier Op. 94 D 780 von Frnasz Schubert, auch Moments Musicaux genannt, mit den sechs Schubert-Reminiszenzen für Klavier „Idyll und Abrgund“ von Jörg Widmann.

 

Die Rechnung des gewagten Projekts geht voll auf. Bei Widmann ,Schubert-Reminiszenzen‘ scheint der enge Konnex von vornherein evident, weil es Widmann darum ging, „diesem stets gefährdeten Flug Schuberts zwischen Himmel und Hölle, Paradies und dunkelsten Angstzuständen, zwischen Idyll und Abgrund auf seine Weise nachzuspüren.“ Ihn haben besonders die himmlischen Längen beeindruckt, das Singen am Abgrund, das Katastrophische, das einer Wendung nach Dur innewohnen kann. Lucchesini wiederum ist Luciano Berio seit den 90-er Jahren in besonderer Weise persönlich und künstlerisch verbunden. Berios Interesse an der Art und Weise, wie die Fantasie entfernte Welten durchquert, die Tanz, Improvisation, Inspiration durch die Populärkultur und die Erkundung der klanglichen Möglichkeiten des Klaviers zusammenführen, hat auch dieses Projekt inspiriert. Die Magie der einsätzigen Sonaten von Scarlatti neben und mit den wundersamen Stücken Berios  bietet eine einzigartige Möglichkeit, diese musikalischen Kosmen querzuhören. Die Bezüge daraus ergeben sich wie von selbst. 

 

Andrea Lucchesini, der auch geschätzter Kammermusikpartner des großartigen Quartetto die Cremona ist, ist wohl der beste Berio-Interpret überhaupt. In Lucchesinis Scarlatti- aber auch Schubert-Sicht wiederum sind die federnde Leichtgängigkeit, der barocke Farbenreichtum, die Temporelationen und gleichzeitig das Gefühl für zarte Intimität zu bewundern. Auch klangtechnisch ist das Album herausragend.

 

NATHALIA MILSTEIN spielt PROKOFIEV und RAVEL – MIRARE

 

Die junge französische Pianistin, die entsprechend der Herkunft ihrer Familie zu Hause in Lyon russisch spricht,  hat sich vier Werke von zwei Komponisten der Moderne des frühen 20. Jahrhunderts vorgenommen. Wie die überaus sympathische Künstlerin im Booklet-Interview erzählt, sind Ravel und Prokofiev sehr stark in ihrer Zeit verankert, schwingen aber immer noch mit in der heutigen, auch wenn ihre Werke über hundert Jahre alt sind. Diese Musik bringt Geschichte zum Klingen, wie sie uns Geschichten erzählt. Stilistisch haben Ravel und Prokofiev für Milstein das Lyrische, eine bestimmte Form von Romantik sowie einen auffallenden Realismus gemein. 

 

Nathalia Milstein spielt frühe Werke Sergei Prokofievs, die zehn Stücke Op. 12, die Sonate Nr. 4 Op. 29 sowie die Toccata Op. 11. Dazwischen erklingt die Klaviersuite „Le Tombeau de Couperin“ von Maurice Ravel, deren einzelne Sätze jeweils einem seiner im Kampf gefallenen Kriegskameraden gewidmet sind.  Prokofiev hat seine vierte Klaviersonate seinem Freund Maximilian Anatoljewitsch Schmidthof gewidmet, der sich 1913 das Leben nahm.  

 

Nathalia Milsteins Interpretationen sind lyrisch erhaben, von vollendeter Eleganz, auf eine bewegende Weise persönlich und voller Tiefe, ohne jemals Virtuosität noch spieltechnische Versiertheit hervorzukehren. Ihr Spiel besitzt emotionale Dichte, dabei wahrt sie stets die Contenance. Exzesse des Ausdrucks und dynamische Extreme sind ihr fremd. Ein wunderbares bekenntnishaftes Album voller Poesie, Schönheit und versöhnender Kraft.

 

Dr. Ingobert Waltenberger

 

 

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