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CD „KINGS IN THE NORTH“ – TOMÁS KRÁL singt Arien von Händel, Arne, Roman, Schürmann, Keiser, Heinichen, Ariosti, Telemann und Bach; Aparte music

25.09.2022 | cd

CD „KINGS IN THE NORTH“ – TOMÁS KRÁL singt Arien von Händel, Arne, Roman, Schürmann, Keiser, Heinichen, Ariosti, Telemann und Bach; Aparte music

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„Versenget die Stricke, zerschmelzet die Ketten! Zersprenget die Fessel und helfet mich erretten, Eilet zu meiner Befreiung herbei.“ Aus Telemanns Arie ‚Ihr krachenden Klüfte‘ („Der neumodische Liebhaber Damon“).

In der Oper kreisen die Publikumsinteressen in der Regel um den angebeteten Tenorstrahlemann oder die stets in höchsten Lagen vokal seiltanzenden und wahrscheinlich daher launischen Sopranprimadonnen. Der zirkusgleiche Thrill, mit dem unsere liebsten Opernheldinnen und -helden aus den obersten Stimmstockwerken auf der Bühne lieben, eifersüchteln, sich belauern und bis aufs Blut bekämpfen, leiden und sterben, der Hype ums hohe C und möglichst lange gehaltene Spitzentöne gehören zur Oper wie die Fankurve zum Fußballstadion.

Dieser Usus war aber abseits der auch heute noch immer zahlreichen Fans von erdigen Kontraalt- oder heiß glühenden Mezzostimmen, von dunkel verführerischen Baritonen oder samtig schaurig in der Operntiefsee wummernden Bässen beileibe nicht überall und immer gang und gäbe.

In der norddeutschen oder britischen Barockzeit, i.e. vom auslaufenden 17. Jahrhundert und bis Mitte des 18. Jahrhunderts bevorzugten nicht wenige Librettisten und Tonsetzer aus den damaligen kompositorischen Hochburgen Hamburg, Dresden und London nicht nur Sujets aus Sagen und der Geschichte des Nordens., sondern sie vertrauten die landesfürstlichen oder herrscherlichen Hauptfiguren in ihren Opern wendigen Baritonen an. Das heißt aber nicht, dass – wie später in der französischen oder italienischen Operntradition – tiefe Männerstimmen hauptsächlich dramaturgisch zu natürlich bösen Gegenspielern des Tenors oder altehrwürdigen Weisen hochstilisiert wurden.

Wenn in Dresden oder in London nicht gerade angehimmelten Kastraten das erste Wort zukam, wiesen Komponisten wie Reinhard Keiser, Georg Philipp Telemann, Johan Helmich Roman oder Georg Caspar Schürmann so manche Hauptrollen vom Klangcharakter her agilen und höhensicheren Baritonen zu. Die Vertreter dieses Stimmfachs nutzten die Geschmeidigkeit ihrer Tonproduktion, die balsamischen Legati sowie die Befähigung zu stupenden Verzierungen wie später ihre romantischen Tenorhelden zum Ausdruck zehrender Passionen und breit gestreuter Affekte.

Der tschechische Bariton Tomáš Král hat sich auf seinem ersten Solo-Album ein kluges und vom Repertoirewert wichtiges Programm ausgedacht. Wenn dieser Tage allerorts dem charismatischen und auch vom Tonumfang äußerst beeindruckenden italienischen Bariton Ettore Bastianini zu seinem 100. Geburtstag gedacht wird, möge uns das Album von Tomáš Král daran erinnern, wie historisch vielfältig über Verdi und Verismo-Opern hinaus das Stimmfach des Baritons etwa in der norddeutschen Operntradition konzipiert war. Král hat sich als Solist auf Tonträgern vor allem um das geistliche Werk des Jan Dismas Zelenka und von Grzegorz Gerwazy Gorczycki verdient gemacht, aber auch Lieder von Bohuslav Martinů aufgenommen. Nun legt er sein erstes Arien-Album vor. Begleitet vom Breslauer Barockorchester unter der überaus gepflegten, nie marktschreierischen musikalischen Leitung von Jaroslaw Thiel ist Tomáš Král in Rollen wie Garibaldo aus G. F. Händels Oper „Rodelinda, regina de‘ Langobardi“, Federico I di Svezia aus Johan Helmich Romans „Festa musicale“, Ludovico Pius (Ludwig der Fromme) in des Sängers und Komponisten Georg Caspar Schürmann gleichnamiger Bühnenmusik, König Sigibert im Lamento ‚Ich muss schweigend von dir gehen‘ aus Reinhard Keisers „Fredegunda“ oder Primislao aus Johann David Heinichens Oratorium „La pace di Kamberga“ geschlüpft.

Mit seinem eleganten, hell timbrierten und ungemein sauber geführten Bariton vermag der stilistisch kundige Tomáš Král seine Figuren musikalisch differenziert und plastisch fein gezeichnet zu beleben. Wenn Händels Arie ‚Dell empia frode il veloaus „Riccardo primo, re d’Inghilterra“ oder die erwähnte Arie ‚La pace di Kamberga‘ temperamentvolle Bühnenatmosphäre verströmen, so schlägt Král als Ludwig der Fromme oder Sigibert in ruhig geführten, endlosen Legatobögen lyrisch gemäßigte Töne an.

Unter die deutschen Tonsetzer mischt sich mit der Arie ‚Questo mar‘ aus der Oper „La fede de tradimento“ der Italiener Attilio Ariosti. Dieser Diakon am Hofe zu Mantua war in Berlin als Komponist für Sophie Charlotte von Hannover tätig. „La fede ne tradimenti“ wurde in Schloss Charlottenburg uraufgeführt. Unser Held Grazia besingt in seiner originellen Arie mit obligater Solo-Violine als Duett-Widerpart und langen Koloraturgirlanden die elende Wankelmütigkeit der Liebe und die Hakenschläge des Schicksals.

Der Arienreigen wird durch rein instrumentale Stücke aus Thomas Augustine Arnes „Alfred“ (Ouvertüre), Händels „Almira“ (Courante), „Ottone“ (Concerto) und „Almira“ (Menuet), der ‚Chaconne comique‘ aus Telemanns „Der neumodische Liebhaber Damon“ sowie der ‚Intrada‘ aus dessen „Pastorelle en musique“ aufgelockert.

Ein besonderes Gustostück des Albums bildet der große Monolog des Nero aus Reinhard Keisers Oper „Die römische Unruhe“ oder „Die edelmütige Octavia“. Der tyrannische und nicht zimperliche römische Kaiser ist hier ungewöhnlicherweise von Selbstanklage, Zweifeln und Gewissensbissen geplagt.

Die historisch informiert musizierte CD schließt mit der Arie ‚Kron und Preis Gekrönter Damen‘ aus der Kantate BWV 214 „Tönet, ihr Pauken! Erschallet Trompeten!“, von Bach höchst prächtig zur Feier des Geburtstages der polnischen Königin Maria Josepha von Österreich mit jubelndem Trompetenfanfarenglitzer garniert. Falls Ihnen die Musik aus dem später entstandenen Weihnachtsoratorium bekannt vorkommen sollte, so irren Sie sich nicht. Bach hat sich hier an seinem eigenen weltlichen Werk zur höheren Ehre Gottes bedient.

Anregender Hörstoff mit einer wunderbar puren Stimme, die von der makellosen Technik und dem instrumental luxuriösen Timbre her an den Tenor Peter Schreier erinnert. Kein Wunder, dass sich die renommiertesten Dirigenten barocker Musik von Paris bis Warschau um ihn bemühen.

Dr. Ingobert Waltenberger

 

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