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CD KARL BÖHM dirigiert die SÄCHSISCHE STAATSKAPELLE DRESDEN; Edition Staatskapelle Dresden, Vol. 49; hänssler Profil

08.08.2024 | cd

CD KARL BÖHM dirigiert die SÄCHSISCHE STAATSKAPELLE DRESDEN; Edition Staatskapelle Dresden, Vol. 49; hänssler Profil

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Herbert Blomstedt sprach 2023 in einem Interview mit Stefan Lang von einer himmlischen Erfahrung. Gemeint waren Max Regers Variationen und Fuge über ein Thema von Mozart; Op. 123, die in der Reihe Sinfoniekonzerte des Deutschlandsenders ausgestrahlt worden waren. Die Weltersteinspielung des Werks, die während der Theaterferien im Juni 1937 in der Semperoper für Electrola entstanden war, hatte er im Radio als 13-jähriger Jungspund bei seinen Großeltern in Schweden gehört. Blomstedt kannte das Thema aus dem ersten Satz von Mozarts Klaviersonate Nr. 11 in A-Dur, weil er sie selber gespielt hatte und vernahm jetzt, was Reger an Variationen und polyphoner Magie aus dem Thema schöpfte.

Die Aufnahmetechnik bestand darin, dass das Audiosignal direkt in eine Wachsplatte graviert wurde und an die vier Minuten Musik ohne Korrekturmöglichkeiten festhielt, die dann zusammengefügt auf Schellack das gesamte Stück enthielten.

Karl Böhm startete seine Tätigkeit als Opern- und Generalmusikdirektor in Dresden 1934. Böhm dirigierte in dieser Funktion pro Saison fast alle Kapell-Konzerte und an die 70 Opernaufführungen, darunter die Uraufführungen von Richard Strauss‘ „Die schweigsame Frau“ und „Daphne“. Parallel zu diesen Live–Auftritten entfaltete Böhm in Dresden eine fruchtbare Aufnahmetätigkeit. Wer die inhaltlich sorgfältig kommentierte und mit zahlreichen Fotos/Faksimiles versehene Edition der Staatskapelle Dresden und Semperoper Edition ein wenig verfolgt hat, wird vielleicht von dieser Zusammenarbeit mit Karl Böhm bereits die Bruckner Symphonien Nr. 4 und 5 (Vol. 32), die Neunte Symphonie von Ludwig van Beethoven (Vol. 9), den dritten Aufzug von Wagners „Die Meistersinger von Nürnberg“ mit Hans Hermann Nissen, Sven Nilsson, Rudolf Dittrich, Torsten Ralf, Margarete Teschemacher (Vol. 2) oder die legendäre Gesamtaufnahme von Bizets Carmen (Höngen, T. Ralf, J. Herrmann, Böhme, E. Weidlich) in deutscher Sprache (Semperoper Edition Vol. 12) kennen.

Ausschnitte aus letzterer Produktion sind gemeinsam mit der Magnetbandaufzeichnung der Reichs-Rundfunkgesellschaft RRG von Franz Schuberts Symphonie Nr. 5 in B-Dur, D 485; vom 12.6.1942 (Abschiedskonzert von Karl Böhm als scheidender Generalmusikdirektor) als Bonus CD dieser Ausgabe der Edition angeschlossen. Wie wir wissen, war das nicht das Ende der Zusammenarbeit von Karl Böhm mit dem Dresdner Luxusklangkörper. In den späten 50-er, 60-er und 70-er Jahren entstanden eine Reihe vorzüglich musizierter und gesungener Opern- und sinfonischer Aufnahmen (Strauss, Beethoven, Schubert, Mozart), die zum Standardgrundstock eines jeden Sammlers gehören. Böhms Wunsch, noch einmal in der wiedererrichteten Semperoper dirigieren zu dürfen, erfüllte sich indes nicht mehr. Böhm starb am 14. August 1981 in Salzburg und erlebte nur noch die Baustelle des schließlich am 13. Februar 1985 wieder eröffneten Hauses.

Wer heute die exzellent remasterte Wiedergabe (Dank an Holger Siedler) der Regerschen Mozart-Variationen, dem letzten Variationenwerk für Orchester des Komponisten, in der Interpretation von Karl Böhm hört, so fügen sich formale Stringenz/Präzision mit einem untrüglichen Feeling für die Klangwirkung von Instrumentengruppen (insbesondere die jeweils federführenden Holzbläser) und deren detaillierte Gewichtung, weit aufgeatmete Spannungsbögen und dramaturgisch ausgefeilte Proportionalität zu einem schlüssigen Ganzen. In den acht Variationen samt abschließender Fuge vermag Böhm den Grat zwischen spätromantischer Chromatik mit effektvoll geteilten, in den Violinen vielstimmigen Streichern (Variation 8) und finaler, an J.S. Bach orientierter kontrapunktischer Logik, garniert mit schwungvollem Schalk frei nach R. Strauss, effektvoll zu durchlaufen. Und wie könnte es beim einem der begnadetsten Mozart-Dirigenten des 20. Jahrhunderts anders ein, als dass Böhm bei aller orchestralen Dichte auch einen Silberstreif Mozartscher Eleganz und Leichtgängigkeit mit im Gepäck hat.

Zwei Jahr nach Regers Mozart Variationen nahm Böhm die Vierte Brahms in e-Moll, Op. 98 mit den „Dresdnern“ auf. Hier begeistern die Natürlichkeit der Temperamente (was für ein burlesk keckes Allegretto giocoso!) in allen vier Sätzen ohne in Manierismen, Zerfleddern in Details oder martialischen Machismo auszuarten. Mit knapp über 40 Minuten Spielzeit ist Böhm auf der vergleichsweise schnellen Seite, i.e. durchwegs angenehm flüssig unterwegs. Allerhöchste mikrokosmische Kunstfertigkeit darf stets als Ausfluss des einen und einzigen Moments gelten. Im Allegro energico e passionato kommt Böhms Zug zu Bühne und opernhaft kontrastreicher Gestik zum Tragen. Das Feierlich-Unheimliche dieser Musik mit all ihrem in schallernder Heiterkeit sich präsentierenden Sardonismus, in barocken Zitaten sich gebärdender Archaik, den lächelnden Synkopen im gedämpften Licht, hat mich kaum je so getroffen wie in dieser energie- und tempoalerten Lesart des damals 45-jährigen Dirigenten.

Das Booklet ist, wie wir das vom Label hänssler PROFIL gewohnt sind, mustergültig in den Inhalten wie der grafisch umsichtigen Präsentation.

Dr. Ingobert Waltenberger

 

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