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CD JÚLIA VÁRADY „The Orfeo Recordings“, GIUSEPPE VERDI „Messa da Requiem“ Live-Mitschnitt von der Stiftskirche Herzogenburg 3.10.1980; Orfeo

Hommage zum 80. Geburtstag der Sängerin am 1. September 2021

18.08.2021 | cd

CD JÚLIA VÁRADY „The Orfeo Recordings“, GIUSEPPE VERDI „Messa da Requiem“ Live-Mitschnitt von der Stiftskirche Herzogenburg 3.10.1980; Orfeo

Hommage zum 80. Geburtstag der Sängerin am 1. September 2021

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Was für eine Verdi-Stimme! Várady besaß eine pastose belastbare Mittellage, eine kräftige dunkle Tiefe und dramatisch leuchtende Höhen, alles bruchlos, vom Pianissimo bis ins heroische Forte. Dazu ein Legato zum Niederknien, in den berühmt gefürchteten Verdischen Strettas kamen alle Verzierungen gestochen scharf, die extremsten Intervallsprünge erst recht. Ich hatte das Vergnügen, bei einer konzertanten Aufführung von Verdis „Attila“ im Wiener Konzerthaus mit Julia Várady als Odabella im Chor mitzuwirken. Mit welcher Selbstverständlichkeit und technischen Perfektion sie noch an diesem 3. März 2001 (ihre offizielle Bühnenkarriere hatte sie schon 1997 beendet) die elend schwere Sopranrolle sang, war stupend und wird mir immer in Erinnerung bleiben.

Immer auf Belcanto-Linie, authentisch, ausdrucksstark und intimere Seelenregungen verinnerlicht nachzeichnend, konnte Várady mit ihrem kurzen Vibrato, berstend vor Energie (steife oder enge Töne habe ich bei ihr nie gehört) rein musikalisch packende Opern-Charaktere formen. Das Tollste rein technisch gesehen ist der Stimmsitz und die kluge, nie zu breit „eingestellte“ Projektion. Várady hält ihre Stimme fixiert, immer punktgenau an der goldrichtigen Stelle in der Maske, der Tonansatz scheint festgezurrt wie das Tau eines Hochseeschiffes. Was das individuelle Timbre, die Agilität und das Durchhaltevermögen betrifft, findet sich die Várady in einer Liga mit den Größten Ihrer Zunft wie der Caballé, der Freni oder der Nilsson. Nur entsprach sie in keinem Moment einem Diva-Stereotyp. Was eiserne Disziplin anlagt, so galt für sie genauso wie für ihren berühmten Ehemann Dietrich Fischer-Dieskau das Credo: Eine enorme Ernsthaftigkeit in der Befassung mit Stimmtechnik (Stichwort Proben, Proben, Proben), Disziplin, die Durchdringung von Texten bis ins Kleinste, die Befassung mit den historischen Hintergründen zu den Werken. Da hat ein oberflächliches Startum samt kindischen Allüren einfach keinen Platz.

Mit Gwyneth Jones hat die Várady gemeinsam, dass sie als Altistin begann und sich alsbald zu einem veritablen Spinto/jugendlich dramatischen Sopran entwickelte. Fischer-Dieskau nannte Váradys Fach einen „Soprano lirico spinto dramatique.“ Sie studierte die berühmte Schule des romantischen Belcantos im Sinne von Garcia. Nach Anfangsjahren im rumänischen Cluij (Klausenburg) ging es ab den frühen 70-er Jahren Schlag auf Schlag: 1970 holt sie Christoph von Dohnányi als Solistin in das Ensemble der Oper Frankfurt/Main, danach kamen München und die Deutsche Oper Berlin. Sie gastierte in der ganzen Welt. An der Wiener Staatsoper war die Várady nur in 20 Vorstellungen zu hören.

Jetzt unterrichtet Várady. Streng soll sie sein, sagt man. Mit Mimosen kann sie nicht, es muss möglich sein, im Unterricht, bei den Masterclasses Klartext zu reden. Wie wahr.

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Ihre wichtigsten Komponisten waren Mozart, Verdi, Richard Strauss, Puccini und Tchaikovsky. Orfeo veröffentlicht nun rechtzeitig vor Júlia Váradys 80. Geburtstag eine großartige 10 CD-Box sowie den bislang nicht erhältlichen Mitschnitt einer Aufführung von Giuseppe Verdis „Requiem“ mit den Solisten Várady, Milcheva, Cupido, Ghiuselev, dem ORF Chor, dem ORF Vienna Radio Symphony Orchestra unter der musikalischen Leitung von Leif Segerstam (nur einen ORF eigene LP-Pressung soll es einmal gegeben haben) . Das Konzert fand am 3. Oktober 1980 in der Stiftskirche von Herzogenburg statt und ist auf jeden Fall spannender und vokal interessanter als die Studioproduktion des Verdi-Requiem unter Michel Plasson (Warner), wo die Várady mit den kaum beeindruckenden Partnern Felicity Palmer, Keith Olson und Roberto Scandiuzzi sang.

Bei Orfeo hatte die Várady am Höhepunkt ihrer künstlerischen Möglichkeiten – so scheint es zumindest- carte blanche. Sie durfte offenbar aufnehmen, was sie wollte, und das unter besten Studiobedingungen. Am meisten beeindrucken mich die beiden Verdi-Recitals mit dem Bayerischen Staatsorchester, von Fischer-Dieskau umsichtig dirigiert. Wer wie ich einen Großteil aller Arienplatten als langweilig und ermüdend wahrnimmt, wird sich umso mehr über die epochalen Stimm-Studien der Varady aus „Nabucco,“, „Il Trovatore“, „La Traviata“, „Un ballo in maschera“, „La forza del destino“, „Macbeth“, „Don Carlo“, „Aida“ und „Otello“ freuen. Nicht minder fesselnd sind die Arien-CDs mit den bekanntesten Stücken aus Puccinis „La Rondine“, „La Bohème“, „Gianni Schicchi“, „Manon Lescaut“, „Suor Angelica“, „Tosca“, „Madama Butterfly“ und „Turandot“ (Liu und Titelpartie mit dem Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin unter Marcello Viotti) bzw. aus Tchaikovskys „Eugen Onegin“, „Die Jungfrau von Orleans“, „Mazeppa“, „Die Zauberin“, „Pique Dame“ und „Jolanthe“ (mit dem Münchner Rundfunkorchester unter Roman Kofman).

Eine wertvolle Rarität ist die Wagner-CD, auf der Várady neben den „Wesendonck-Liedern“ mit dem „Liebestod“ aus „Tristan und Isolde“ und Brünnhildes Schlussgesang aus der „Götterdämmerung“ positivst überrascht. Fischer-Dieskau dirigiert hier das Deutsche Sinfonie-Orchester Berlin. Im Vergleich dazu ist das Strauss-Album mit Szenen und Monologen aus “Salome“, „Ariadne auf Naxos“, „Die Liebe der Danae“, „Capriccio“ und „Arabella“ mit den Bamberger Symphonikern, wieder mit Fischer–Dieskau am Pult, ein Heimspiel.

Gerd Albrecht nahm mit der Várady selten Gespieltes wie Giacomo Meyerbeers szenische Kantate „Gli Amori di Teolinda“, Spontinis „Olympie“ oder Louis Spohrs „Jessonda“ auf. Aus den letzten beiden Opern, die auch als Gesamtaufnahmen vorliegen, enthält die Box repräsentative Ausschnitte. Die letzten drei CDs der Box sind der Liedsängerin Várady gewidmet. Wir staunen und freuen uns über eine ebenso wie bei all ihren Opern stilsichere Künstlerin in Liedern von Mozart und R. Strauss (begleitet am Klavier von der fantastischen Elena Bashkirova), in selten zu hörenden Liedern von Tchaikovsky (mit Aribert Reimann am Flügel) oder von Louis Spohr (mit Hartmut Höll Klavier, Dmitry Sitkovetsky Violine und Hans Schöneberger Klarinette).

Die Box ist auch deshalb so wichtig und unverzichtbar, weil es, was offizielle Studio-Gesamtaufnahmen betrifft, zwar eine „Cavalleria rusticana“ mit Pavarotti, die „Fledermaus“ unter Carlos Kleiber, den „Zigeunerbaron“ mit Willy Boskovsky, einen „Don Giovanni“ unter Kubelik, die „Ariadne auf Naxos“ mit Jessye Norman unter Kurt Masur (Várady singt hier den Komponisten) oder eine deutsch gesungene Aufnahme von Offenbachs „Hoffmanns Erzählungen“ unter Heinz Wallberg gibt, aber keine einzige Studio-Verdi- oder Puccini-Oper gesamt! Außerdem waren die meisten der nun wieder veröffentlichten Alben vergriffen.

Der „Monde de la Musique“ hat Várady im November 2004 auch Versäumnisse verraten. Sie bedauert, nicht die Isolde gesungen zu haben. Und: Es gab die verpasste Schallplattenaufnahme der „La Traviata“ unter Carlo Maria Giulini, sowie von „Nabucco“ und „La forza del destino“. Dafür haben wir jetzt zumindest als würdiges Geburtstagsgeschenk die schönsten Arien und Lieder zusammengefasst in einer 10 CD-Publikation, und das zu einem Preis, der normalerweise für zwei CDs berechnet wird.

Fazit: Die Jubiläums-Editionen mit der Varady sind für alle Begeisterten an hoher Gesangskunst schlicht und einfach unverzichtbar!

Dr. Ingobert Waltenberger

 

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