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CD JULES MASSENET: DON CÉSAR DE BAZAN – Opéra comique, zweite Version 1888, mit LAURENT NAOURI und ELSA DREISIG; NAXOS

21.05.2020 | cd

CD JULES MASSENET: DON CÉSAR DE BAZAN – Opéra comique, zweite Version 1888, mit LAURENT NAOURI und ELSA DREISIG; NAXOS

Veröffentlichung: Juni 2020

Die spanische Mantel- und Degenoper „Don César de Bazan“ ist die erste abendfüllende Oper des dreißigjährigen Massenet. Der 1872 in wenigen Wochen fertig gestellten Partitur nach dem Drama „Ruy Blas“ von Victor Hugo war kein sonderlicher Erfolg beschieden, nach einem Dutzend Vorstellungen war Schluss. Massenets lyrisch elaborierter Orchesterstil mit spanischen Kolorit stempelte die Oper in seiner symphonischen Dominanz wohl als dramaturgisch wenig aufregend ab. Es dauerte weitere fünf Jahre, bis Massenet mit der Oper „Le Roi de Lahore“ seinen Durchbruch feiern konnte. Viel erfolgreicher als der französische „Don César“ war die gleichnamige dreiaktige deutsche Operette auf dasselbe Sujet von Rudolf Dellinger, die in Hamburg im Carl-Schultze-Theater 1885 herauskam und es innerhalb von 25 Jahren auf 1350 Aufführungen brachte. Kennt heute aber auch keiner mehr.

2016 schlug endlich die Stunde für Massenets „Don César de Bazan“. Mehr oder weniger notgedrungen in der zweiten, vom Komponisten selbst rekonstruierten und erweiterten Version von 1888, weil die Originalpartitur bei einem Brand in der Pariser Salle Favart 1887 vernichtet worden war. Die französische Opernkompanie „Les Frivolités Parisiennes“ präsentierte nach einer Rekonstruktion der Partitur unter der musikalischen Leitung von Mathieu Romano das Werk erfolgreich in verschiedenen Städten. Die vorliegende CD wurde im Februar 2019 im Théâtre Impérial de Compiègne aufgenommen. 

Die Oper liegt als Hybrid zwar unentschlossen zwischen konventioneller Komödie (Couplets) und großer romantischer Oper, aber überwältigt mit tollen Koloraturarien, meisterlicher Melodieführung und gekonnt arrangierten Tableaus. Alle Massenetsche Verführungskunst und sein Charme, die lyrische Charakterisierungsgabe, die instrumentale Verfeinerung, die rhythmische Kraft, das Pittoreske ebenso wie die grelleren Farben sind schon in dieser frühen gar prächtigen Partitur enthalten. Da gibt es kunstvolle Belcanto-Arien, duftig elegante Ensembles und Chöre zum Niederknien schön zu bestaunen, voller Sentiment und origineller Eingebung. Dabei ist zu bedenken, dass die revidierte Fassung in einer Zeit entstand, wo Massenet schon Manon geschrieben hat. Freilich offenbacht es bisweilen ganz gewaltig (vgl. das Duett Don César und Don José im zweiten Akt). Zudem hat der Hörer das Vergnügen eines sublimen Frauenduetts im vierten Akt. Aufschlussreich für die hohen vokalen Anforderungen ist zu wissen, dass das Hauptpersonal der Carmen-Uraufführung geschlossen bei Don César mitwirkte: Jacques Bouhy (Don César; Escamillo); Célestine Galli-Marié (Lazarille; Carmen) und Paul Lhéry (König Karl II; Don José).

Die Titelrolle im Stück gehört einem Bass(-bariton), wie viel später in Massenets heroischer Komödie „Don Quichotte“ aus dem Jahr 1910. Don César de Bazan (Laurent Naouri als exzellenter Buffobass) ist ein verarmter Adeliger, aber ein feiner verwegener Kerl. Um den jungen Lehrling Lazarille (Marion Lebègue, Mezzo) von den Quälereien seines Büchsenmachermeisters zu befreien, duelliert er sich kurzerhand. Weil der Kampf aber in der Karwoche stattfindet, sollen beide Duellanten erhängt werden. Don José de Santarém (Christian Helmer, Bariton), erster Minister des Königs Karl II. besucht den „Freund“ Don César im Gefängnis nicht ohne Hintergedanken. Er gesteht ihm, dass er die Königin begehrt. Die wiederum stellt zur Bedingung, dass zuerst der König der Untreue überführt werden müsse, bevor sie Don Josés Drängen erhört. Die Chancen dazu stehen nicht schlecht, weil sich der König (Thomas Bettinger, Tenor) in die Gypsy Straßensängerin Maritana (Elsa Dreisig, Sopran) vergafft hat. Wegen des Standesunterschieds ist das vorerst eine unmögliche Sache. Der politische Ausweg und zugleich kürzeste Weg ins Bett von Königin bzw. schöner Sängerin, so der mephistophelische Plan von Don José: Maritana soll ein Stündchen vor der Exekution Don César ehelichen, dann wäre sie Gräfin Bazan…. Don César erhält dafür das Privileg, nicht erhängt, sondern erschossen zu werden. 

Die Manipulation des geilen Bocks Don José geht natürlich nicht auf: Der gewiefte Lazarille hat die Kugeln aus dem Füsiliergewehr entfernt. Am Ende tötet Don César Don José im Duell und rettet damit nicht nur die Ehre des Königs, sondern stellt fest, dass er sich in das (in der vermeintlichen Todesstunde angetraute) Straßenmädchen unsterblich verliebt hat, freilich nicht ohne vorher über seinen Stand reflektiert und auf aristokratische Vorrechte verzichtet zu haben. Happy End.

Was die sängerischen Leistungen angeht, so gibt es durchwegs Erfreuliches zu berichten. Laurent Naouri als Don César hat nicht mehr den baritonalen Biss von früher, dafür ist er was Charakterisierungstiefe, Diktion und komödiantisches Timing betrifft, in diesem Fach heute wohl unübertroffen. Elsa Dreisig ist die kecke koloraturgewandt virtuose  Straßensängerin Maritana, während Massenet die zu Herzen gehenden Arien eher der Hosenrolle des Lazarille zugedacht hat. Marion Lebègue kann mit ihrem frischen volltönenden Mezzo in der sympathischen Rolle des geknechteten Lehrlings und treuen Freunds von Don César mit der wohl schönsten Stimme des Ensembles für sich einnehmen. Thomas Bettinger als einzigem Tenor und in Liebesdingen wenig zimperlichen König Karl II. ist hier einmal nicht die Hauptrolle zugeeignet. Er singt mit kernig ausdrucksvoller, nicht unbedingt apart timbrierter Stimme seine hoch gelegene  Partie ganz vorzüglich. Christian Helmer gibt mit granuliertem Tabakton den grandiosen Schuft Don José. Christian Moungoungou ergänzt in dieser „Bariton-Oper“ in der kleineren Rolle des Kapitäns der Wache. 

Das Orchester des Frivolités Parisiennes unter Mathieu Romano bezaubert mit schwungvoller Sevillana, pfeffrig gewürzten Ensembles ebenso wie mit romantischer Schmeichelei. Das Ensemble Aedes sorgt für die adäquate Umsetzung der von Massenet geschickt in Szene gesetzten chorische Effekte.

Für Freunde französischer Opern dürfte das Album unverzichtbar sein, generell verdient die Aufnahme eine uneingeschränkte Empfehlung! 

Dr. Ingobert Waltenberger

 

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