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CD JOSQUIN DESPREZ „BAISIEZ MOY“ – Das Ensemble Thélème interpretiert Chansons des größten Meisters der franco-flämischen Polyphonie; aparte music

28.08.2021 | cd

CD JOSQUIN DESPREZ „BAISIEZ MOY“ – Das Ensemble Thélème interpretiert Chansons des größten Meisters der franco-flämischen Polyphonie; aparte music

 

Josquin Desprez zur 500. Wiederkehr seines Todestages am 27. August 1521

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Ein Superstar der Renaissance war er, dieser Josquin Desprez. Er schmiedete seine kunstvollen polyphonen Vokalgeflechte wie die größten Goldschmiede es mit ihren feinst ziselierten Gewirken taten. Alle Finessen des Kontrapunkts lernte er bei Johannes  d‘Ockeghem, zumindest schrieb er 1497 „Nymphes des bois“ aus Anlass des Todes des Komponisten, den er liebevoll als „Vater einer ganzen Generation von Musikern“ bezeichnete. 

 

Beim Wettbewerb um die Stelle am Hofe des Herzogs Ercole d‘Este in Ferrara wurde der kapriziösen, unzuverlässigen Diva Desprez trotz exorbitanter finanzieller Forderungen der Vorzug vor dem braven Heinrich Isaac gegeben. Auch seine früheren Anstellungen waren nicht von Pappe. Ab 1477 dient er dem Herzog von Anjou in Aix-en Provence, in den 1480er Jahren musizierte er für die Herzöge der Sforza in Mailand. Sechs Jahre lang sang er im Chor für den Papst in der Sixtinischen Kapelle. 

 

Der bis heute ungebrochene Ruhm des Vielschreibers Desprez gründet nicht zuletzt darin, dass sein Aufstieg mit derjenigen des Drucks von Musikalien einherging. Seine Stücke finden sich etwa an prominenter Stelle in der Sammlung, die Ottaviano Petrucci in den ersten Jahren des 16. Jahrhunderts publizieren ließ. Der titelgebende Song „Baisiez moy“ erschien in der Anthologie Canti C. aus 1504. 

 

Das Album „Baisiez moy“ umfasst 20 Tracks. In den Chansons geht es um leichte Lieben, Melancholie, das Bedauern, das eine schöne Seele nach einer Trennung einem sicheren Tod anheim gibt. Überwiegend wird in französischer Sprache gesungen. Nur wenige Nummern, wie die auf Texte des Vergil verfassten, die Romanze von Dido und Aeneas besingenden Chansons „Dulces exuviae“ oder „Fama malum“ basieren auf den lateinischen Originalworten. 

 

Besondere Freude hatte man in der Renaissance mit kecken Lautmalerien. Im einzigen italienischen „Song“ der CD, dem berühmten „Grillo“, erzählt das zirpende Tier zwar von der Liebe, aber dem Komponisten ging es eher um eine ironisierende Nachahmung des typischen nächtlichen Stridulierens.  

 

Um in den Klangwelten des Josquin Desprez die Zeitlosigkeit der Musik zu betonen, hat sich das 2013 von Jean-Christophe Groffe gegründete Ensemble dazu entschieden, zur Begleitung der Vokalensembles neben der Laute auch das besondere Timbre der Ondes Martenot (der junge Pierre Boulez hat dieses Instrument in den Folies-Bergères gespielt), des elektromechanischen Klaviers Fender-Rhodes oder eines Synthesizers von Buchla einzusetzen. Das musikalische Spiel des Renaissancemeisters wird damit ins Heute gezogen, was vortrefflich funktioniert.

 

Musiziert wird in Fünfer-Formationen (Julien Freymuth Alt, Lior Leibovici Tenor, Ivo Haun Tenor, Laute, Jean-Christophe Groffe Bass und Leitung, Ziv Braha Laute). Nur bei den „Nymphes des bois“ wird die Besetzung auf sieben Stimmen erweitert (Matthieu Romanens Tenor, Simon MacHale Bariton und Luis Nelva Bass). Die Künstler, mehrheitlich Absolventen der Schola Cantorum Basiliensis,  singen intonationsrein, ausgesprochen stimmschön, voller Stilwissen und in hoher Wortdeutlichkeit.

 

Der Name des Ensembles ist der von Francois Rabelais in seinem Roman „Gargantua“ erwähnten utopischen Abtei „Thélème“ entlehnt, wo es keine Grenzen und keine Zeit gibt.

 

Anmerkung: Wenn Sie bei „Baisiez-moy“ an den französischen Film „Baise-moi“ (=Fick mich!)  denken sollten, so liegen Sie nicht falsch. Im Vulgär-Französisch von heute haben sich ein paar Begriffe verschoben. Un Baise (oder bise) bedeutet ein Kuss, aber für küssen wird jetzt landläufig „embrasser“ (wörtlich übersetzt: umarmen) verwendet. Na ja und „baiser“ hat dann halt die hübsche Doppelbedeutung, jedoch mit eindeutiger Richtung.

 

Dr. Ingobert Waltenberger

 

 

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