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CD JOSEPH HAYDN „IL RITORNO DI TOBIA“ – Mozarteum Orchester Salzburg; IVOR BOLTON; SONY

19.09.2020 | cd

CD JOSEPH HAYDN „IL RITORNO DI TOBIA“ – Mozarteum Orchester Salzburg; IVOR BOLTON; SONY

 

Bei den Salzburger Festspielen 2013 war es Nikolaus Harnoncourt, der dem selten zu hörenden biblischen Oratorium „Il ritorno di Tobia“ in der Felsenreitschule konzertant  prominente Aufmerksamkeit sicherte. Schon im April 2016 gab es eine neuerliche Begegnung mit Haydns Oratorien-Erstling „Die Rückkehr des Tobias“ nach einem Libretto von Giovanni Gastone Boccherini – ganz im Stile der Textvorlagen seines Kollegen Metastasio – an der Salzach. Die Handlung entstammt dem Buch Tobit, einem während der babylonischen Knechtschaft entstandenen Teil der Apokryphen. Es sei noch angemerkt, dass dieser Giovanni Gastone der Bruder des Komponisten Luigi Boccherini und von 1772-1775 Leiter des Wiener Kärntnertortheaters war.  

 

Boccherini  verknappte das umfangreiche originale biblische Personal und konzentrierte sich ganz auf den Kern der Erzählung, nämlich die Rückkehr des Tobias aus der Fremde und die Heilung seines erblindeten Vaters Tobit. In der  berührenden Vater-Sohn Geschichte treten noch Tobias Mutter Anna, seine Frau Sara sowie der Engel Raffaele auf.   Den Auftrag zur Komposition erhielt Haydn 1774 von der Tonkünstler-Societät, einer kurz zuvor gegründeten Vereinigung von Musikern zur Unterstützung der Witwen und Waisen ihrer Mitglieder. Das musikalisch so reich inspirierte Werk wurde am 2 April 1775 unter Haydns höchstpersönlicher Leitung mit insgesamt 180 Mitwirkenden uraufgeführt. So ein  üppig besetztes Konzert passt wohl nicht in  den Kodex der meisten apodiktischen Vertreter einer Originalklangmoral. Ich habe noch nie gehört, dass solche gewaltigen Besetzungen in unserer Zeit unter Hinweis auf den Willen des Komponisten Nachahmer gefunden hätten. 

 

Gleichviel. Der vorliegende Mitschnitt mit den in Sachen Wiener Klassik mit allen Wassern gewaschenen Kräften des Mozarteumorchesters Salzburg unter der musikalischen Leitung des Ivor Bolton, des beeindruckenden Bachchors Salzburg (Einstudierung Alois Glassner)  mit einer gediegenen Solistencrew (Lucy Crowe – Engel Raffaele; Anna Bonitatibus – Sara, Tobias Braut; Mauro Peter – Tobia; Bettina Ranch – Anna, Tobias Mutter; Neal Davies – Tobit, Tobias Vater) bereitet uneingeschränkte Freude. Auf jeden Fall haben wir es mit einer in jeder Hinsicht willkommenen Bereicherung der knappen Diskographie (Antal Dorati 1979 mit Hendricks, Zoghby, Della Jones, Langridge, Luxon DECCA; Andreas Spering 2006 mit Invernizzi, Karthäuser, Hallenberg, Dahlin und Borchev NAXOS; Nikolaus Harnoncourt 2013 ORFEO) zu tun. 

 

Zu der Erstfassung der Partitur gesellen sich die zwei ungemein dramatischen, die kontrapunktische Kunst auf die Spitze treibenden Chöre „Ah gran Dio“ und „Svanisce in un momento“, die Haydn 1784 anlässlich einer Wiederaufführung des Stücks im vom Kaiser Joseph II. als teutsches Nationaltheater gegründeten alten Wiener Burgtheater geschrieben hat.

 

Die Musik zu „Il Ritorno di Tobia“ besteht aus einer Abfolge von Rezitativen (auch der Kampf und Sieg gegen das Wasserungeheuer wird rezitativisch geschildert) und in aller epischen Länge voll ausgekosteten Arien. Die Qualität der Musik ist den beiden um ein Vierteljahrhundert später entstandenen Meisterwerken „Die Schöpfung und „Die Jahreszeiten“ in ihrer Farbigkeit, dem harmonischen Raffinement ebenbürtig. Es gibt halt weniger Chöre, dafür Arien, die zum religiösen Sujet passend nicht anders als himmlisch zu bezeichnen sind. Als schönstes Beispiel möge die Arie der Sara „Non parmi esser fra gl‘uomini“ mit Anna Bonitatibus im zweiten Teil dienen, die lange wundersame Kantilenen mit virtuosen artistischen Verzierungen zu einer spätbarocken Welt fügt, in der es natürlich um die hehre Frage geht, was ein unerschütterlicher christlicher Glaube zu bewirken vermag. 

 

Haydns unglaubliche Begabung für Lautmalerei feiert die schönsten Urständ. So etwa in der Arie Annas „Sudó il guerriero“, wo das kriegerische Kolorit durch den gezielten Einsatz von Trompeten und Kesselpauken erzielt wird. „Der zitternde Seefahrer wird durch die wogenden und schäumenden Wellen der Violinen zum Leben erweckt, und der Bauer erscheint in einer volkstümlichen Oboenmelodie, ähnlich wie Simon in den „Jahreszeiten“, weiß H.C. Robbins Landon anschaulich zu schildern.  

 

Wer der musikhistorischen Schlamperei und Schnödigkeit (dass solche Werke wegen modischer Umstände aus dem Kanon des Repertoires fielen, sollte heute niemanden mehr in seinem qualitativen Urteil beeinflussen) ein Schnippchen schlagen will, höre sich dieses Oratorium in der vorliegenden Interpretation an. Für orchestrale, chorische und solistisch-sängerische Wonnen ist hinreichend gesorgt. 

 

Dr. Ingobert Waltenberger

 

 

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