Online Merker Logo

Die internationale Kulturplattform

CD JOSEPH HAYDN „Hornsignal“ – Edition Nr. 13 einer bis 2032 angelegten Gesamtaufnahme aller Haydn-Symphonien mit GIOVANNI ANTONINI als künstlerischem Leiter; Alpha

23.01.2023 | cd

CD JOSEPH HAYDN „Hornsignal“ – Edition Nr. 13 einer bis 2032 angelegten Gesamtaufnahme aller Haydn-Symphonien mit GIOVANNI ANTONINI als künstlerischem Leiter; Alpha

Un rimedio contro la noia – Heilmittel gegen (fürstliche) Langeweile

3760014196928

Joseph Haydn 300. Geburtstag im Jahr 2032 wirft schon jetzt seine Schatten voraus, zumindest was ein besonders ehrgeiziges Aufnahmeprojekte anlangt. Im „Kaleidoskop der menschlichen Gefühlswelten“ ist Giovanni Antonini in seiner nicht chronologischen, sondern thematischen Annäherung an die umfassende 107 Symphonien-Erarbeitung beim Thema „Horn“ bzw. Nr. 13 der Edition gelandet. Der Mailänder Dirigent Antonini dirigiert hier sein eigenes Ensemble Il Giardino Armonico. Andere Aufnahmen des gemeinsam von der Joseph Haydn Stiftung Basel mit dem Label Alpha geplanten Unterfangens wiederum werden mit dem Basler Kammerorchester (mit Antonini als erstem Gastdirigenten) realisiert.

Auf dem vorliegenden Album sind die Symphonien Nr. 31 in D-Dur, diejenige „mit dem Hornsignal“, Nr. 59 in A-Dur „Feuersymphonie“ und Nr. 48 in C-Dur „Maria Theresia“ zu hören. Auf dem ästhetisch brillanten wie witzigen Coverfoto sind die spitzen Hörner eines Bocks zu sehen, die sich auf einem steilen schneebedeckten Abhang mit Gestöber durch das glitzernde Weiß bohren. Das snowboardende Tier ist noch von Schnee bedeckt.

Dieses anschauliche Kuriosum als Metapher für Haydns Spielwitz geben zusammen mit der Durchdringung des Wesens der menschlichen Natur die Kadenz für die musikalische Substanz, das so Unverwechselbare in Haydns symphonischem Schaffen vor. Und wie sind wir Menschen so? Dazu habe ich kürzlich einen trefflichen Satz von Pascal Mercier in dessen Buch „Das Gewicht der Worte“ gelesen: „Wir Menschen sind so überhaupt nicht aus einem Guss, wir sind voller Risse und Sprünge, leben auf verschiedenen inneren Plateaus, zu denen wir hinaufklettern und von denen wir in die Tiefe stürzen.“

Bei Haydn ist sowieso alles anders, aber die Vielschichtigkeit, die Schicksalshaftigkeit und Vanitas unseres Daseins beschwört kaum einer anschaulicher wie er, Augenzwinkern inklusive, weil allzu ernst sollten wie weder uns noch andere nehmen. Bilden bei vielen Komponisten der Zeit die Trompeten das Signum für Festlichkeit und Opulenz, so ist das bei Haydn das Horn. Haydn griff dabei noch zu einem besonderen Kniff, wenn höfischer Glanz in C-Dur eine besondere Klangqualität erhalten sollte. Er ließ die Hornisten einfach eine Oktave höher spielen. Seinem jagd- und prunkliebenden Herrn Nikolaus I. Esterházy soll es Recht gewesen sein.

Tatsächlich beschäftigte das fürstliche Orchester in den dreißig Haydn-Jahren (1761-1790) keine eigenen Trompeter, dafür aber 18 Hornisten. Aus der Virtuosität und den furiosen Tempi zu schließen, die Haydn den Hörnern etwa in der von einem Wiener Kopisten nachträglich als die „mit dem Hornsignal“ bezeichneten Symphonie Nr. 31 zumutete, müssen die Instrumentalisten damals unglaublich gut gespielt haben. Noch dazu, wenn man sich veranschaulicht, dass es sich um ventillose Waldhörner gehandelt hat (erst ab 1813 wurde Hörnern ein Ventil verpasst). Da das Haydnsche Orchester aus Pi mal Daumen 18 Mann bestand, wovon in dieser 30 Minuten langen Symphonie Nr. 31 in D-Dur vier Hörner konzertierend zu den obligaten Streichern, Flöte, Oboe und Fagott stoßen, muss der Eindruck enorm gewesen sein. Wir wollen hoffen, dass die Aufführungen seinem zu Schwermut neigenden Chef zu lichten Stunden verholfen hat.

Die zweite Symphonie des Albums, die Nr. 59 in A-Dur mit dem Beinamen „Feuersinfonie“ oder „La Tempesta“, wartet ebenso mit vielfältigen Horneinwürfen auf. Ob die Musik als Zwischenaktmusik zu dem Schauspiel „Die Feuersbrunst“ von Gustav Friedrich Wilhelm Großmann verfasst wurde oder einfach nur wegen der auffälligen dynamischen Kontraste dramaturgisch theaterwirksam scheint, wer weiß. Fest steht, dass die Theatersaison auf Schloss „Eszterház“ am 15. Oktober endete. Das war der Namenstag der Kaiserin Maria Theresia, der Fürst Esterházy als Feldmarschall und später als Kapitän der ungarischen adeligen Leibgarde verpflichtet war. Die 1769 aufgeführte neue Symphonie in C-Dur (Nr. 48) trug jedenfalls den Namen „Santa Teresia“ bzw. „Sinfonia Sanctae Theresiae“.

Die temperamentvolle, historisch informierte Lesart, der kräftige und kontrastreiche Zugriff von Antonini und die audiophile Klangqualität überzeugen sehr. Überraschungsakzente, tänzerischer Schwung, schimmerndes Farbenspiel, höfische Eleganz und ein hoher Unterhaltungswert ergeben ein allseits wohl bekömmliches Menü.

Stilistisch sehe ich Giovanni Antonini in einer Reihe mit Manfred Huss, Roger Norrington, Roy Goodman oder Christopher Hogwood. Nur hat keiner der vier letztgenannten Dirigenten sämtliche Symphonien aufnehmen können. Daher: Nur weiter so mit Haydn 2032.

Über Haydn2032: Die Joseph Haydn Stiftung Basel organisiert, produziert und finanziert mit dem Projekt Haydn2032 zu Joseph Haydns 300. Geburtstag im Jahr 2032 die Aufführung und Aufnahme aller 107 Sinfonien des Komponisten mit den Orchestern Il Giardino Armonico und Kammerorchester Basel unter der künstlerischen Leitung von Giovanni Antonini. Die eingespielten Aufnahmen erscheinen als CD und als luxuriöse Vinyl-Sammleredition in Buchform. Zu jedem Projekt wird eine Fotoreihe als Bilderzyklus zum Themenkomplex ausgewählt. Zeitgenössische Schriftsteller umrahmen das Projekt mit einem Essay, der in Zusammenhang zum Programmthema steht.

Dr. Ingobert Waltenberger

 

Diese Seite drucken