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CD JOSEPH HAYDN: „Die Sieben letzten Worte des Erlösers am Kreuz“ – DOMINIQUE VELLARD „Les Sept Dernières Paroles du Christ en croix“; evidence

07.08.2021 | cd

CD JOSEPH HAYDN: „Die Sieben letzten Worte des Erlösers am Kreuz“ – DOMINIQUE VELLARD „Les Sept Dernières Paroles du Christ en croix“; evidence

18. Jahrhundert trifft auf das zeitgenössische Frankreich: Das QUATUOR DEBUSSY und das ENSEMBLE GILLES BINCHOIS in einer Begegnung auf Augenhöhe

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Altes Streichquartett und junge Vokalmusik satzweise ineinander verflochten zu einem einzigartigen musikalischen Zopf: Der zwischen pannonischer Tiefebene, Wien und London kreativ wirkende „Papa“ Haydn und der 1953 geborene französische Tenor und Spezialist für mittelalterliche Musik Dominique Vellard haben beide „Die Sieben letzten Worte des Erlösers am Kreuz“ vertont. Der eine gleich in mehreren Fassungen – u.a. als Passionsmusik für Orchester, als Streichquartett und für Klavier solo – der andere 1999 für ein kleines a cappella Vokalensemble (zwei Soprane, ein Tenor).

An der Wiege des Kompositionsauftrages von Erzbischof von Cádiz, Don José Saluz de Santamaria, stand Haydns Streichquartett in d-Moll, Op. 42. Es ist das einzige erhaltene Werk eines Zyklus von sechs Quartetten, den Haydn für einen spanischen Grande geschrieben hatte. Der Erzbischof war wohl von der schnörkellosen und frugalen Lakonik des Werks angetan. Also bestellte er einen Zyklus von sieben Sonaten, alle in einem moderaten Tempo (Adagio) gehalten, der als musikalische Untermalung der Karfreitagsliturgie in der unterirdischen Krypta Santa Cueva dienen sollte. Haydn gelang das Meisterstück, jeden Satz von Modulation, ´Rhythmus, Tonart, dem Stellenwert der Stimmen untereinander sowie dem Gebrauch von Pausen so abwechslungsreich anzulegen, dass ein Gefühl von Monotonie von vornherein nicht aufkommen kann. Außerdem fügte Haydn noch den hochdramatischen Satz „Il Terremoto“ (=Das Erdbeben) in C-Dur an, der mit der Sequenz der sieben Adagios spektakulär brach.

Fast 225 Jahre später machte sich der französische Musiker Dominique Vellar, Gründer des Ensembles Gilles Binchois daran, das mittelalterliche Repertoire nach Zitaten aus den „Sieben Worten von Christus am Kreuz“ zu durchforsten, die als Einleitung für die verschiedenen Abschnitte des berühmten Haydn-Oeuvres dienen könnten. Da er nichts findet, greift er selber zur Feder. Er verzichtet bewusst auf alles „Neo-Modale“ oder „Neo-Mittelalterliche“. Vellar vertraut auf seine 40 Jahre Erfahrungen in Alter Musik sowie dem markerschütternden Text. Jeweils in derselben Tonart gehalten wie der nachfolgende Streichquartett-Satz, geben die Stimme von Christus (Martiat Pauliat Tenor), und wie als Echo gefolgt von seiner Mutter (Perrine Devillers, tiefer Sopran) und des Engels (Junko Takayama, Sopran) eine Art vokale Introduktion in die verschiedenen Grade an Agonie, die Jesus am Kreuz durchleidet.

„Pater, in manus tuas commendo spiritum meum.“ Von Ausdruckstiefe und spiegelgleicher Struktur ergänzen sich die beiden Werke hervorragend. Das Quatuor Debussy (Christophe Collette Violine, Emmanuel Bernard Violine, Vincent Deprecq Viola, Cédric Conchon Cello) sowie das Ensemble Gilles Binchois haben die CD im Jänner 2021 in der Krypta von Lagorce eingespielt. Eine intensivere, expressivere und dennoch spirituell vergeistigtere Interpretation ist kaum vorstellbar. Für die ruhig-kontemplativen Momente des Daseins die schönste Musik. Für die Gläubigen unter uns ein zu Klang geronnenes Zwiegespräch über die letzten Dinge.

Dr. Ingobert Waltenberger

 

 

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