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CD JOSEPH HAYDN „DIE SCHÖPFUNG“ – KARL RICHTER dirigiert das Bayerische Staatsorchester und den Chor der Bayerischen Staatsoper; hänssler classic

25.09.2021 | cd

CD JOSEPH HAYDN „DIE SCHÖPFUNG“ – KARL RICHTER dirigiert das Bayerische Staatsorchester und den Chor der Bayerischen Staatsoper; hänssler classic

Erstveröffentlichung eines Mitschnitts des Akademiekonzerts vom 8. Mai 1972 aus dem Nationaltheater München

0881488200768

Karl Richters Bach-Aufnahmen sind künstlerisch zu Recht legendär, auch wenn sich der Interpretationsstil von Alter Musik seit der Originalklangbewegung grundlegend gewandelt hat. Sein diskographisches Vermächtnis ist immens. In der 95 CD-Box „Complete Recordings on Archiv Produktion & Deutsche Grammophon“ wird man allerdings vergeblich nach einer Gesamtaufnahme von Haydns Oratorium „Die Schöpfung“ Ausschau halten. Der mit 56 Jahren früh verstorbene Dirigent und Cembalist kam wohl nicht mehr dazu.

Grund genug für hänssler classic, die Gelegenheit des Zugangs zu einer Aufnahme aus dem Privatarchiv von Herrn Prof. Tobias Richter zu nutzen und ein gut restauriertes Band eines atmosphärisch dichten Konzerts aus 1972 zur Disposition zu stellen. Zwar gibt es Übersteuerungen und teils leicht schwankende Tonpegel, aber vor allem die Qualität von Orchester und Solisten kommen gut zur Geltung. Erstaunlich sind vor allem Richters Fähigkeit, etwa in der Einleitung („Vorstellung des Chaos“), die harmonischen Entwicklungen in ein Kaleidoskop an Farben zu tauchen sowie ihren stetigen Fortschritt quasi unter die orchestrale (Zeit-)Lupe zu nehmen.

Das Solistenterzett Elisabeth Speiser (Sopran), Werner Hollweg (Tenor) und Karl Christian Kohn brilliert mit schönen Stimmen, lyrischem Überschwang, gut geölten Läufen und glasklarer Diktion. Besonders, weil es eines der raren Live-Tondokumente der Schweizer Sopranistin Elisabeth Speiser darstellt, ist das Album für jeden Melomanen ein Muss. Die lyrische Sopranistin mit charaktervollem Timbre, kurzem Vibrato und leuchtenden Höhen, die auf Tonträgern vor allem in den 80-er Jahren ihrer Karriere als Liedsängerin präsent war, war eine herausragende Melisande, Pamina, Euridice. Erhältlich davon ist aktuell nichts. In diesem Mitschnitt der “Schöpfung” kann sie es von der Frische des Ausdrucks, der Spontanität der Verzierungen, der leuchtenden Emphase sogar mit Elisabeth Grümmer oder Lucia Popp aufnehmen. Elisabeth Speiser ist ein gutes Beispiel dafür, wie wenig die vielfach exklusiven Engagements der großen Plattenverlage das gesamte hochqualitative Spektrum des klassischen Gesangs abdecken. Das trifft auch auf Karl-Christian Kohn zu, der etwa als Leporello im von Ferenc Fricsay dirigierten “Don Giovanni” noch immer in den Plattenregalen präsent ist. Der saarländische Bass, dessen satt balsamisches Timbre ein wenig an Kurt Mull erinnert, liefert auch in der ”Schöpfung” am Höhepunkt seines Könnens eine memorable Leistung ab. 

Fazit: Ein wichtiges Tondokument eines berühmten Dirigenten und einer grandiosen Sopranistin, aber auch eine aufschlussreiche Schule des Hörens für Unvoreingenommene. Wie das Album zeigt, sind gültige und bewegende Haydn-Interpretationen nicht in erster Linie von der Frage des Einsatzes eines historischen Instrumentariums abhängig.

Dr. Ingobert Waltenberger

 

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