CD JOSEPH HAYDN „DIE SCHÖPFUNG“ – JORDI SAVALL dirigiert den Chor ‚La Capella Reial de Catalunya‘ und das Orchester ‚Le Concert des Nations‘; Aliavox
Das Oratorium der Aufklärung – „Und aus dem hellen Blicke strahlt / der Geist, des Schöpfers Hauch und Ebenbild“ (Uriel)
Der katalanische Alte Musik-Guru Jordi Savall feierte am 1. August dieses Jahres seinen 80. Geburtstag. Einspielungen veröffentlicht Jordi Savall auf dem eigenen CD-Label „Alia Vox“, vor allem mit seinem 1987 gegründeten Vokalensemble „La Capella Reial de Catalunya“ und dem 1989 nachfolgenden Originalklang-Orchester „Le Concert des Nations“.
Das neueste – wie stets aufwendig inszenierte- Album mit Booklet-Texten in sechs Sprachen ist Haydns Oratorium „Die Schöpfung“ gewidmet. Savall hat sich mit diesem Oratorium, das ihn seit den frühen 60-er Jahren beschäftigt, erst spät in den Konzertsaal gewagt. 2006 war es dann in Cádiz so weit. Das Vokalensemble ´La Capella Reial de Catalunya‘ war nach des Maestros Dafürhalten zu diesem Zeitpunkt sowohl stilistisch als auch von der Beherrschung der deutschen Sprache so weit, dass eine Aufführung stattfinden konnte. 15 Jahr später, genauer im Mai 2021, hat Savall in den romanischen Gewölben der Collégiale du Château de Cardona die nun publizierte Aufnahme eingespielt.
Haydn komponierte „Die Schöpfung“ zwischen 1796 und 1798. Das Werk ist Ausdruck von Haydns tiefem Glauben, aber zugleich war es inspiriert vom Geist der Freimaurer in Wien. Savall zitiert zum Beleg Carl de Nys, der meinte: „Es handelt sich um das erste profane Oratorium in dem Sinn, das seine Botschaft sich an alle Menschen richtet, auf der lyrischen Ebene ganz nach der Art der ‚Zauberflöte‘ und etliche Jahre vor dem Finale der 9. Symphonie Beethovens.“
Die „Schöpfung“ geht von einer nach dem Ebenbild Gottes geschaffenen Menschheit aus, und proklamierte so das Ideal der Aufklärung. Auch die Freimauerlogen vertraten diese These, nach der Musik auch als ein Mittel der Bildung für breite Bevölkerungsschichten betrachtet wurde. Am Ende wird wie bei der „Zauberflöte“ oder im „Fidelio“ die eheliche Liebe besungen.
Haydns „Schöpfung“ ist die wohl bis heute schönste in Musik gegossene Hommage an die Erschaffung der Welt. Das Libretto stammt von Gottfried van Swieten auf Basis einer englischsprachigen Vorlage von Lidley, der sie ursprünglich für Händel erstellt hatte.
Das Außergewöhnliche an der neuen Aufnahme ist der von Savall in unverwechselbaren Farben und Akzenten – natürlich wird auf Instrumenten der Zeit gespielt – gehaltene Orchesterpart. Der dunkle Streicherklang mischt sich vorzüglich mit den bronzenen Fanfaren der Trompeten, Posaunen und den kräftig eingesetzten Pauken. In gemäßigten bis (allzu) gedehnten Tempi und leisen Tönen zelebriert Savall das wundersame Werden aus dem Chaos, später deftig ruraler die lautmalerisch so köstlich fabulierten Erscheinungen und Mysterien der Natur, ganz in Pastell das Liebesduett und natürlich pompös die gloriosen Hymnen wie das (leider) von nur 20 Choristen gesungene „Der Herr ist groß“.
Die durchgängig schlank- bis allzu schlankstimmigen Solisten hinterlassen jedoch einen mehr als gemischten Eindruck. Yeree Suh entledigt sich mit Anstand der Aufgabe, aber ihr von Volumen und Strahlkraft her bestenfalls als soubrettenhaft durchgehender Sopran genügt nicht den vielen Facetten und schon gar nicht den dramatischeren Passagen von Gabriel und Eva. Tilman Lichdi kann als Uriel mit einem einnehmenden Timbre und einem gut ansprechenden jugendlichen, instrumental geführten Tenor aufwarten. Er geht es ebenfalls federleicht, stilistisch barock angehaucht an. Matthias Winckhler in der Doppelrolle als Raphael und Adam verfügt sowohl über die erdigen Klangvaleurs im ersten Teil als auch über liedhaft gestaltete Legato-Bögen. In den tiefen Lagen mangelt es seinem höhenlastigen lyrischen Bariton erheblich an Volumen. Mit poetischer Einfühlung versucht er, den herausfordernden Arien und Ensembles Herr zu werden.
Aller Solisten schmerzender Stachel ist das ausdrucksstarke Orchester, das den Solisten in entscheidenden Momenten die Show stiehlt. Und neben dem guten Chor auch der Hauptgrund des Interesses sein wird. Die Aufnahmetechnik geht eindeutig zu Lasten der Stimmen.
Insgesamt liegt diese Neuerscheinung lediglich im Mittelfeld des umfangreichen Katalogs. An Spitzenaufnahmen wie diejenigen von Karajan, Bernstein, Tennstedt, Gardiner, Harnoncourt oder Antonini kommt sie jedenfalls nicht heran.
Dr. Ingobert Waltenberger