CD JOSEF SUK: Klavier- und Kammermusik mit CHRISTIAN TETZLAFF, FLORIAN DONDERER, TIMOTHY RIDOUT, TANJA TETZLAFF und KIVELI DÖRKEN; Ars Production
Der tschechische Komponist und Geiger Josef Suk, Lieblingsschüler und später Schwiegersohn von Antonín Dvořák, hielt es in seinen Anfängen als melodientrunkener Schöpfer feiner Kammermusik stilistisch mit Johannes Brahms. Dem großen Vorbild widmete der 18-jährige Suk auch sein 30-minütiges Klavierquintett in g-Moll Op. 8, 1893 entstanden und 1915 umfassend revidiert.
Es wäre allerdings zu simpel, Suk in die Lade „gut gerührte Mélange zwischen Dvořák, Smetana und Brahms“ zu stecken und darin epigonal schmoren zu lassen, wenngleich Dvoraks A-Dur Klavierquintett Op. 81 bisweilen als die eigenen Harmonien durchwirkende Hommage gedient haben mag. Böhmisch durch und durch, ist Suk von der Spätromantik kommend neben Leoš Janáček einer der Vertreter der tschechischen Moderne. Und so eigenständig und originär sollten wir ihn wahrnehmen, wenn wir die beiden energetisch vibrierend und voller Spannung musizierten Schlüsselwerke des Albums hören.
Der zehnteilige Zyklus für Klavier solo „Erlebtes und Erträumtes“ Op. 30 zeigt einen das eigene Erleben in tief bewegende Klänge transformierenden Mann. Zu den Ausdrucksbezeichnungen kommen im einen oder anderen Fall Hinweise zu konkreten, intimen Ereignissen aus dem Leben von Josef Suk. So ist etwa das fünfte Adagio der „Genesung meines Sohnes“ gewidmet oder das zehnte Adagio mit der Bezeichnung Träumerisch – „Den vergessenen Grabhügeln auf unserem Dorffriedhofe“, als Klangreminiszenz an den Tod geliebter Menschen (u.a. seiner Frau Otilie) entworfen. Pianistin Kiveli Dörken, Gründerin des Molyvos International Music Festivals auf der griechischen Insel Lesbos, sieht den Zyklus als musikalisches Tagebuch. „Jedes Stück beginnt und endet im Piano, genauso wie unserer Gedanken manchmal scheinbar aus dem Nichts hervortreten, ihren ganz eigenen Lauf nehmen und dann wieder in unser Unterbewusstsein verschwinden. Einige dieser Gedanken sind leidenschaftlich und explosiv, andere fühlen sich flüchtig und fast unbedeutend an, einige sind optimistisch und aufbauend und einige sehr persönlich.“
Das Besondere an dem Album ist die hohe Identifikation der Ausführenden mit der durch die Musik sublimierten Innenwelt des Komponisten, die Plastizität im Spiel und wie die Pianistin beschreibt, die „Hingabe sowohl zum musikalischen Detail als auch zum emotional Extremen“. Das könnte die Zuhörer in jeder Sekunde fesseln. Bei aller Lauterkeit und Kunstfertigkeit im Spiel von Frau Dörken muss aber dennoch die Frage erlaubt sein, ob nicht gerade bei der offenbar zwischen autobiographischer Inspiration und utopischem Traum oszillierenden Musik ein weniger an Pedaleinsatz, ein im Forte weniger hämmernder Anschlag (Suk hat hier kein plakatives „Tor von Kiew“ porträtiert), ein weniger an breit zelebrierten Tempi nicht ein Mehr an poetischer Fülle und erzählerischer Stringenz bedeutet hätte. Besonders der so avantgardistisch impressionistische Einschlag der Musik, ihre geheimnisvollen Harmonien leiden unter dem allzu grellen Licht einer auf Grenzemotionen setzenden Interpretation.
Wenn es die Absicht und das Ziel der CD gewesen sein sollte, den Blick für die eigentümlich exotische Schönheit der Musik von Suk (der nicht zufällig einer der favorisierten Komponisten des Chefs der Berliner Philharmoniker Kirill Petrenko ist) zu schärfen, ist die Rechnung zumindest beim Klavierquintett voll aufgegangen. Hier ist insbesondere Christian Tetzlaff vor den Vorhang zu bitten, der sich mit seinem exquisiten Spiel bei dieser CD und schon zuvor schon mit der Aufnahme von Josef Suks „Fantasie in g-moll“ op. 24 für Violine & Orchester mit dem Helsinki Philharmonic Orchestra unter der musikalischen Leitung von John Storgards Standing Ovations verdient hat.
Dr. Ingobert Waltenberger