CD JOHANNES PRAMSOHLER und das ENSEMBLE DIDEROT beleben „Sonate a quattro“ von Goldberg, Fasch, Händel, Janitsch und Telemann; Audax records
„Der französischen Kunst der Konversation, die vor allem in Berlin auf offene Ohren gestoßen ist und der Pionierarbeit Telemanns, die wiederum von seinen Pariser Kollegen sofort aufgegriffen wurde, ist es zu verdanken, dass wir heute eine zwar überschaubare, aber von meisterhafter Qualität geprägte Sammlung an feinsinnigen musikalischen Viergesprächen haben – vorausschauend, aber doch eigentlich eine ganze Epoche final besiegelnd.“ Pramsohler
Was unterscheidet den Südtiroler Barockgeiger Johannes Pramsohler von seiner Kollegenschaft? Ich glaube, es ist die zwingende Kombination aus vor Neugier platzendem Forschertum, einer über jegliche Virtuosität und Fingerfertigkeit weit hinausgehende expressiv-bekenntnishafte Note im Spiel, sowie eine pädagogische Ader sondergleichen, die sich u.a. in seinen geschliffenen wie gut verständlichen Texten manifestiert. Er vermag mit seinen Mitstreitern, wie dem langjährigen musikalischen Partner Philippe Grisvard am Cembalo diesen so vielschichtigen wie formelhaften Kompositionen tänzerischen Schwung und höfische Imprägnierung inkl. Pferde- und anderer Stalldüfte einzuhauchen wie keiner vor ihm. Da brodelt das Leben in spritzig-unterhaltsamer wie nachdenklich-melancholischer Weise.
Hatten Pramsohler und sein legendäres Ensemble Diderot in jahrelanger Arbeit die weite Welt der barocken Triosonate mit zahlreichen Alben (gewidmet den Arbeiten von Tonsetzern wie Mondonville, Leclair, Händel, Telemann, Fasch, Fux, Jacquet de la Guerre, Brossard, Campra, Blow, King, Draghi, Diessner, Rebel, Clérambault u.v.a.) einem breiteren Publikum öffnen können, so stehen nun Sonate a quattro fünf verschiedener Komponisten im Zentrum der Aufmerksamkeit.
Gemeinsam mit Roldán Bernabé (Violine), Alexandre Baldo (Viola), Guirim Choi (Cello) und Philippe Grisvard (Cembalo) erkundet er jenen schmalen Grenzstreifen der Musikgeschichte, in dem das Quartett mit basso continuo die Triosonate überwand und gleichzeitig die Fünfstimmigkeit der deutschen Ensemblesonate und des französischen Orchesters ablöste (die zweite Bratsche entfiel). Das brachte eine große Beweglichkeit der Einzelstimmen mit harmonisch ungeahnten Perspektiven, die einen immer aufs Neue entzücken.
Im Gegensatz zu den zahlreichen zur Zeit ihrer Entstehung auch Amateuren zugänglichen Triosonaten verlangt die kammermusikalische Quartettbesetzung ab dem frühen 18. Jahrhundert nach dem besten professionellen Instrumentalisten. Als prophetische Vorboten zu einem aufgeklärteren Zeitalter mündeten die den vier Elementen, Himmelsrichtungen, Jahreszeiten, Temperamenten nachempfundenen Stimmengflechte, die die absolutistischen, die göttliche Zahl drei versinnbildlichen Triosonaten wegen ihrer harmonisch improvisatorischen Überlegenheit weit hinter sich ließen, in die Königsdisziplin des klassischen Streichquartetts.
Bestanden die Quartette in Frankreich zuerst noch aus einem Terzett über einem Bass, kamen bald auch andere Instrumente wie Flöten zu den Streichern hinzu. Pramsohler hat für das neue Album nur Stücke in Streicherbesetzung gewählt mit erster und zweiter Geige, Bratsche und Basso continuo im Stil eines französisch-italienisch-deutschen Mischstils.
Mögen Stücke wie die Quartett-Sonate in c-Moll des Bach-Schülers Johann Gottlieb Goldberg mit ihren markanten Anfangsakzenten zwar im Hintergrund akademische Fragen involvieren (Pramsohler spricht von „rauschenden festen des Geistes für Kenner, die zu Analyse und Diskussion anregen.“), so kann sich das Publikum am edlen Klang der Instrumente, den verspielten Fugen und Kanons, dem leidenschaftlich konzertierenden Hin und her von Geigen und Bratsche erfreuen.
Hierzu eignen sich nicht zuletzt besonders die Sonata in a-Moll und Georg Philipp Telemann und die Sonata in G-Dur und Georg Friedrich Händel (Triosonatenversion, zu der eine Bratsche kommt). Aber auch die dem da-chiesa-Prinzip folgende Sonata in d-Moll von Johann Friedrich Fasch sowie als Weltersteinspielung das dreisätzige Quatuor in D-Dur des Berliner Komponisten und ‚Contraviolonisten‘ am Hofe Friedrich II. Johann Gottlieb Janitsch divertieren unser Ohr köstlich.
Johannes Pramsohler hat, unterstützt vom künstlerisch auf derselben Wellenlänge surfenden Ensemble Diderot, mit dieser fantasiereich wie genießerisch musizierten CD ein wichtiges, weil noch (zu) wenig erschlossenes Terrain der Kammermusik am Scheideweg von Barock und Klassik betreten. Man kann beim Hören gut nachvollziehen, wie diese aus der Vokalpolyphonie rührende vorläufige Vierer-Form nach solch schwindelerregenden Höhenflügen an Abstraktion und Kunstfertigkeit eine Grenze des Möglichen markierte und daher nur eine kleine, aber feine Brücke zum universelleren klassischen Streichquartett bildete.
Empfehlung!
Dr. Ingobert Waltenberger