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CD JOHANNES BRAHMS: Symponie Nr. 2 & Akademische Festouvertüre – HERBERT BLOMSTEDT dirigiert das GEWANDHAUSORCHESTER LEIPZIG; Pentatone

29.06.2021 | cd

CD JOHANNES BRAHMS: Symponie Nr. 2 & Akademische Festouvertüre – HERBERT BLOMSTEDT dirigiert das GEWANDHAUSORCHESTER LEIPZIG; Pentatone

Ein absolut werktreuer Brahms-Zyklus aus Leipzig formt sich zu ansehnlicher Gestalt 

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Im September 2020 ist mit der ersten Symphonie in c-Moll und der „Tragischen Ouvertüre“ der Startschuss zu einer neuen Gesamteinspielung aller Brahms-Symphonien gefallen. Für Altmeister Blomstedt war es gleichnishaft, dieses Brahms-Werk im Corona-Jahr 2020 gemäß Schumanns Bekenntnis „Licht in die Tiefen der menschlichen Seele zu bringen“ präsentieren zu können.

Nun folgt die bereits im Oktober 2019 live im Gewandhaus Leipzig mitgeschnittene Symphonie Nr. 2 in D-Dur gekoppelt mit Brahms „Akademischer Festouvertüre“. In Pörtschach am Wörther See und in Lichtenthal bei Baden-Baden 1877 geschrieben, scheint die Symphonie von Brahms die scheinbare Unbeschwertheit eines Sommertages zu reflektieren. Blomstedt weiß in seiner formvollendeten Lesart aber auch um die Untiefen menschlichen Empfindens und Treibens, die sich bei Brahms in dramatischen Wolkenformationen Bahn bricht. Da plustern sich die Segel des Schicksals plötzlich mächtig auf, bevor sie genauso unverwandt wieder weiterziehen und den Himmel in ein reines Azurblau tauchen. Vielleicht ist ja das sogenannt‘ Ungetrübte in der Hochromantik schwerer zu gestalten als ein heftiges Gewitter, das den Hörer kathartisch umfriedet zurücklässt.

Herbert Blomstedt hat die Zweite von Brahms mit dem Gewandhausorchester Leipzig, dessen Chef er als Nachfolger von Kurt Masur 1998 bis 2005 war, bereits einmal eingespielt. Die exzellente Aufnahme ist nach wie vor in einer 5 CD Box „Herbert Blomstedt – 1998-2005 in Leipzig“ beim Label Querstand erhältlich.

Die Akademische Festouvertüre in c-Moll, Op. 80 entstand wie ihre „tragische“ Schwester 1880 in Bad Ischl. Anlass zur Ausarbeitung der Festouvertüre war die Verleihung der Ehrendoktorwürde an Brahms durch die Universität von Breslau 1879.

Das Gewandhausorchester Leipzig vollbringt unter der Leitung ihres ehemaligen Chefs mit nun 94 Jahren nun abermals wahre Heldentaten an symphonischem Raffinement. Der Hörer muss nicht auf das spektakuläre Finale im vierten Satz warten und sich bis dahin mit Brahms‘ sinfonischen Strickkünsten in abstrakten Gedanken befassen. Die im Alter hinzugekommene Lockerheit des von manchen zu Unrecht als Langweiler etikettierten Dirigenten tut der Zweiten sehr gut. Der uneitle, nur auf die Angaben der Partitur bezogene Gestaltungswille mündet in einen frisch unbefangenen Erzählfluss, als ob da ein Junger, und das serviert mit jahrzehntelanger Erfahrung, am minutiös gehobelten Werk wäre. Die abschattiert-brokat reliefierten Streicherfarben des Orchesters bescheren der Symphonie ihren je nach Imaginationskraft des Hörers mehr oder weniger ausgeprägten romanesken Hintergrund. Noch spazieret das einfach wirkende ,Allegro grazioso‘ in „unerträglicher Leichtigkeit des Seins“ vorbei, so kommt es mit dem lebensgeladenen ,Allegro con spirito‘ dicke. Alle müden Lebensgeister sind weggeblasen, die morschen Gedanken schlittern ab, Zuversicht und ein unreflektiertes Vorwärts bestimmen den weiteren Weg. Am Ende mag sich einer denken: „Die Seifenoper des Alltags hat uns wieder.“ 

Musikalisch gelingt es Blomstedt zudem, vor allem im zweiten  und vierten Satz die harmonische Verwandtschaft zu Wagner zu verdeutlichen und den prophetischen Blick hin zu Mahler zu schärfen.

Grandios!

Dr. Ingobert Waltenberger

 

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