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CD JOHANNES BRAHMS: Klavierquintett op. 34, Streichquintett op. 111, Pavel Haas Quartet, Boris Giltburg auf einem Fazioli-Flügel und Pavel Nikl Bratsche; Supraphon

02.08.2022 | cd

CD JOHANNES BRAHMS: Klavierquintett op. 34, Streichquintett op. 111, Pavel Haas Quartet, Boris Giltburg auf einem Fazioli-Flügel und Pavel Nikl Bratsche; Supraphon

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Brahms‘ Kammermusik gehört wohl zum Vollendetsten, was die Musikgeschichte auf diesem Gebiet hervorgebracht hat. Absolute Musik zwar, aber dennoch durchdrungen von hoch individuell gestrickten Empfindungen, aus denen wohl auch verborgene Liebesgeschichten und Zueignungen gehört werden können. Musikalische Inspiration trifft auf technisch meisterliche Verarbeitung und unerwartete Wandlungen der Motive mit teils folkloristischen Themen. Schubert’sche Melodienseligkeit und exzessive Chromatik. Melancholie da, raffinierteste kontrapunktische Kunstfertigkeit dort. Intimität geht nahtlos auf und über in symphonisch groß gedachte Strukturen. Final führen Experimente und Versuche zum Wunderwerk.

Das alles kennzeichnet das Klavierquintett in f-Moll Op. 43, dessen Entstehungsgeschichte in drei Stadien erfolgt. Zuerst wollte Brahms ein Streichquintettt mit zwei Celli nach dem Vorbild Schuberts schreiben. Den Entwurf hat er 1864 als Sonate für zwei Klaviere bearbeitet, wohl nicht zuletzt dank seiner Freundschaft mit Clara Schumann. Clara war wohl nicht so begeistert vom Ergebnis wie gedacht („eine Menge der schönsten Gedanken“ gingen in der reduzierten Version verloren). Auch Hermann Levi schlug mit seinem Urteil in diese Kerbe und regte eine Umarbeitung für Streichquartett und Klavier an. Im Oktober 1964 hatte Brahms sein fantastisches Klavierquintett vollendet.

Das Allegro non troppo mit seinen 15 Minuten Spielzeit kommt wie eine gewaltige Symphonie daher. Das Streichquartett und das Klavier liefern sich eine atemlose Jagd durch Flur und Hain, es wogen Felder und peitscht das zügellos aber immer höchst spielerisch hin und hergeschubste Thema den Hörer durch einen Sternenregen an polarisierenden Empfindungen. In der Coda wird das abgewandelte Hauptthema reizvoll synkopiert. Das Klavier intoniert einen Ländler, als Gegenrede hören wir im Andante eine selige Melodie der Streicher, bevor es im Scherzo ganz wagnerisch- hochromantisch zur Sache geht. Formal nach dem Vorbild des Scherzos aus Beethovens Fünfter Symphonie gebaut, hat nicht unrecht, wer hier in den hämmernden Rhythmen Parallelen zu Wagners „Rheingold“ ausmacht.  Aber es wäre nicht Brahms, wenn die irgendwie Schubertisch-Bayreuther Melange uns nicht doch irgendwie ganz anders anrührte und nicht am Ende mit einer Stretta in Sechsachteltakt schlösse.

Dieses so furiose wie zarte, in jedem Fall kontrastreiche Werk zählt zu meinen Lieblingskompositionen von Brahms. Noch dazu, wenn es so leidenschaftlich, böhmisch-bukolisch, tänzerisch-beschwingt, voller süßer Geheimnisse im Andante con poco und mit genüsslich zelebriertem Drama interpretiert wird wie hier in dieser exemplarischen Einspielung mit dem Pavel Haas Quartet und dem russisch-israelischen Pianisten Boris Giltburg als kongenialen Partnern. Sie alle halten die vielen Fäden der Partitur fest zusammen, die Fliehkräfte der Musik gewinnen trotz beherzter Tempi nie die Oberhand. Giltburg erweist sich in seinem begnadet-uneitlen Musikantentum einmal mehr als einer der führenden Pianisten seiner Generation. Sein Spiel bleibt organisch-natürlich, wo andere nach Effekt haschen. Giltburg begreift Virtuosität nicht als Pyromanie eines drittklassigen Action-Reißers, sondern als verlängerten Ausdruckswillen. Wer sich für diese CD begeistert, dem sei zudem die erste Veröffentlichung des Gespanns Pavel Haas Quartett und Boris Giltburg bei Supraphon mit dem Klavierquintett Op. 81 und dem Streichquartett Op. 97 von Antonín Dvorák empfohlen.

Das Album wartet noch mit dem Streichquintett in G-Dur Op. 111 von Johannes Brahms auf. Das Pavel Haas Quartett und der Bratschist Pavel Nikl, einst selbst Mitglied der Formation, gehen diese „schöpferische Synthese, diese musikalische Lebensbilanz des 57-jährigen Komponisten“ (Vlasta Reitterová), genauso hochenergetisch an wie das Klavierquintett. Von der Atmosphäre wechselt dieses so wienerische Stück zwischen aufbrausender Lebensfreude und melancholischer Abgeklärtheit, spannt den Bogen von einer vereinzelten Träne auf Rosengrund bis hin zu wissender Hoffnung. Es schließt mit einer virtuosen Stretta nach einem fulminant temperamentvollen ungarischen Csardas. Was für eine Musik. Welch wunderbar selbst im stürmischsten Furioso stabiles Maß haltende Interpreten.

Dr. Ingobert Waltenberger

 

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