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CD JOHANN WILHELM WILMS: Symphonie Nr. 6, Op. 58, Ouvertüren; IVAN REPUSIC dirigiert das Münchner Rundfunkorchester; cpo

22.08.2024 | cd

CD JOHANN WILHELM WILMS: Symphonie Nr. 6, Op. 58, Ouvertüren; IVAN REPUSIC dirigiert das Münchner Rundfunkorchester; cpo

wilms

„Musik ist der Zauberspiegel, in den das Auge des Liebhabers so gern zu schauen wünscht, wobei die Phantasie eines jeden Menschen etwas Eigenes in ihm ersieht.“ Johann Wilhelm Wilms

Vor über 20 Jahren ging das Concerto Köln mit der sechsten, der vorletzten Symphonie des Johann Wilhelm Wilms, ins Studio und präsentierte damals mit ihren Weltersteinspielungen (Symphonien Nr. 6 und 7) einen wenig bekannten, erstaunlich einfallsreichen Symphoniker. Ein begnadeter Melodienfinder und -verarbeiter war er, dieser Komponist aus NRW (Beethoven und Offenbach gleich), dem die Themen so mir nichts dir nichts durch den Kopf purzelten und auf dem Papier ihren Ewigkeitsplatz bis heute behaupten können.

Überwiegend im Kreise der Familie ausgebildet, ging der 19-jährige Johann Wilhelm nach Amsterdam, wo er als bewunderter Flötist (Engagements in verschiedenen Orchestern ließen nicht lange auf sich warten) und Pianist besonders für sein Improvisationstalent am Flügel so manchen Salon in Staunen versetzte. Wilms und fünf weitere junge Musiker gründeten 1796 das Collège Eruditio Musica, ein sich selbst verwaltendes Instrumentalensemble. Der Grund: In den Orchestern, die sie in Amsterdam vorfanden, waren wohl die Atmosphäre und die Probenbedingungen alles andere als lustig. Ende des 18. Jahrhunderts entstanden die ersten Symphonien und Solokonzerte, die dank der Leipziger Verleger Ambrosius Kühnel, Breitkopf & Härtel und Hofmeister bald ihren Weg in die Welt fanden. 1805 heiratete er seine 14 Jahre jüngere Schülerin Nicoletta Theodora Versteegh.

Wilms‘ Schaffen gestaltete sich – man könnte sagen einer gewissen Gschaftlhuberei halber – sporadisch zwischen seinen Verpflichtungen als Organist, Pädagoge und Alleinerzieher seiner Kinder, nachdem seine Frau 1821 verstarb und Wilms nicht wieder heiratete. Stilistisch ist er ein Geistesverwandter von Joseph Haydn und vor allem des frühen Beethoven, ebenso geschickt in Belangen kompositorischer Techniken, ausgefeilter Fugen inklusive, später kann er auch als Frühromantiker durchaus mit Größeren kokettieren. Ab den 1820-er Jahren begann der allmähliche Rückzug, Wilms lehnt einen Lehrauftrag an der Königlichen Musikschule zu Amsterdam ab. Auch seine Werke werden weniger und weniger aufgeführt. 1847 stirbt er. 120 Werke, vor allem Instrumentalmusik, bleiben der Nachwelt erhalten.

Populär wurde Wilms dank seiner Orchestervariationen über das Nationallied Wilhelmus von Nassauen aus dem Jahr 1813 und als Verfasser zweier weiterer patriotischer Lieder (1816), von denen eines bis 1932 als Nationalhymne diente. Die Diskographie des Johann Wilhelm Wilms ist mittlerweile ansehnlich und umfasst Symphonien, Klavierkonzerte, Kammermusik und Werke für Klavier solo.

Die Symphonie Nr. 6 in d-Moll schrieb Wilms 1819 und heimste dafür den ersten Preis eines Kompositionswettbewerbes in Gent ein. Mir hat es dieses energetisch so pulsierende, heroisch bis pastorale, bewundernswert komplex gestaltete (könnte als Kompendium damaliger Kompositionsschläue durchgehen) und dennoch unterhaltsame Stück angetan.

Zu Wilms Spätwerk gehören fünf Ouvertüren, von denen vier für das vorliegende Album eingespielt wurden, und zwar zwei Ouvertures á grand orchestre (in Es-Dur und f-Moll) sowie zwei Concert-Ouvertures á grand orchestre (in E-Dur und Es-Dur). Der Tonfall in diesen Stücken reicht von idyllisch über festlich, tragisch bis zu erhaben.

Ivan Repušić, seit 2017 Chefdirigent des Münchner Rundfunkorchesters, vermag sein Orchester zu großem Ton mit einer Prise Pathos zu animieren. Den verschiedenen Stimmungen und instrumentalen Finessen der Partituren lässt er ebenso klare Kontur zuwachsen wie der Geometrie des Kontrapunkts. Durch graziöse und duftige Passagen durchlüftet, findet das Album im überschäumenden Rondo Allegro molto der d-Moll Symphonie ihren jubelnden Höhepunkt.

Fazit: Ein wunderbar differenziert, genussreich musiziertes Album, das der weiteren Rehabilitierung dieses Komponisten eine schöne Schleife bindet. Ich persönlich ziehe die Interpretation von Repušić mit dem Münchner Rundfunkorchester ihrer größeren Elastizität, der freieren Agogik, der raffinierteren Temporegie und der vielgestaltigeren Farbpalette wegen derjenigen des Concerto Köln (die dafür ein wenig dramatischer und rhythmisch schroffer vom Leder zieht) vor.

Link zur Internationalen Johann Wilhelm Wilms Gesellschaft, die im Jahr 2002 gegründet wurde. Sie will den Komponisten von seiner undankbaren Rolle des „unbekannten Meisters“ befreien und seine Kompositionen aus der Vergessenheit hervorholen. In den vergangenen Jahren haben zu diesem Zwecke jährlich Konzerte stattgefunden, die in Witzhelden, dem Geburtsort von Wilms, zur Aufführung kamen.

https://www.ijwwg.com/

Dr. Ingobert Waltenberger

 

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