CD JOHANN STRAUSS II „WALDMEISTER“ – Dario Salvi dirigiert die Weltersteinspielung mit dem Sofia Philharmonic Orchester und Chor; NAXOS
„Das Wetter war so scheene, ich war so wohlgemuth, nu hab ich nasse Beene, beim Deibel is der Hut“ Professor Erasmus Friedrich Müller
Wenn ich an Waldmeister oder, wie es noch heißt, das wohlriechende Labkraut, denke, fällt mir spontan ein mit Waldmeister marinierter Rindsbraten ein, der in einem einst berühmtem Wirtshaus im Wienerwald unnachahmlich mit Knödel serviert wurde, eine kulinarische Jugenderinnerung der allerbesten Manier. Auch das elegant stängelige Blattwerk auf meinem Berliner Balkon fühlt sich auf diesen Namen angesprochen. Das zart weiß blühende Gewürz setzt sich tapfer Frühjahr für Frühjahr gegen die im selben Beet wuchernde Schokoladenminze durch.
Jetzt weiß ich, dass sich unter dem noblen, kräuterlichen Namen auch eine schwungvolle Operettenschöpfung verbirgt. 1895 in Theater an der Wien uraufgeführt, nimmt dieses flotte Stück nach einem Text von Gustav Davis die alle Liebeswirrungen und Verwechslungen entflechtende Waldmeisterbowle ins walzerselige Visier. Dem 70-jährigen Strauss war nach dem weniger erfolgreichen „Apfelfest“ eine musikalisch ansprechende Operette gelungen. Sogar der griesgrämige Eduard Hanslick und der ebenfalls bei der Premiere anwesende Johannes Brahms waren vom musikalischen Resultat enthusiasmiert und attestierten ihre Genugtuung darüber, dass „Strauss zu unserer aller Freude hier wieder den Grundton der „Fledermaus“ anschlägt. Der Duft des Waldmeisters ist noch immer würziger echter Strauss, nur durch Abliegen milder geworden.“
Am Ende verhinderten wohl nur die textbücherlichen Albernheiten einen dauerhafteren Erfolg. Dabei war dem Librettisten und Journalisten Gustav Davis an anderer Stelle durchaus eine publizistisch lang nachwirkende Großtat geglückt. Die von ihm gegründete alte Österreichische Kronenzeitung soll sich ja nach wie vor großer Beliebtheit erfreuen.
Johann Strauss dirigierte bei der Uraufführung im Theater an der Wien selbst die Ouvertüre, „Waldmeister“ erlebt insgesamt 88 Aufführungen. Der Handlungskern hätte eigentlich, wäre das Rundherum nicht so verworren, durchaus Charme. Die maibrünftigen jungen Herren der Forstakademie und die Freundinnen der Sängerin Pauline gehen auf Jagd. Derweilen erwartet die allgewaltige Frau Amtshauptmann Malwine Heffele den mit Botanisiertrommel und Momentapparat ausgestatteten Botanikprofessor Erasmus Müller. Der soll der Hobbybotanikerin bestätigen, dass sie tatsächlich zum bekannt grünen eine schwarze Waldmeister-Spezies entdeckt hätte. Dann gibt es dann noch das junge Liebespaar Freda Heffele und den Forsteleven Botho von Wendt, die sich statt roter Rosen auch lieber Waldmeistersträußlein als Liebespfand schenken. Als fingerzeigend moralische Instanz will Oberforstrat Tymoleon von Gerius, Direktor der Forstakademie, wieder Zucht und Ordnung in seinen Trupp bringen. Außerdem rügt er die kurzen dekolletierten Tenniskleidchen der Paulinen-Mädchen. Wenn da nicht die Räder der erotischen Metamorphosen wären, die ungnädig alle nasstriefende Moral als Staub entlarven. Nach dem Finale des zweiten Aktes, wo alle kräftig der Maibowle zugesprochen haben, scheint auch die Musik verkatert zu sein. Bei starkem Bohnenkaffee erfährt Malwine als letzte, dass ihre Freda nicht den Herrn Forstrat, sondern Botho von Wendt ehelichen wird und der Professor nicht mit Pauline verlobt ist. Ob es den schwarzem Waldmeister wirklich gibt? Ja das werte Leserschaft, müssen sie schon selbst herausfinden.
Nach der Ausgrabung von „Blindekuh“ 2019 setzt Dario Salvi mit dem Sofia Philharmonic Orchestra seine löbliche Initiative der Einspielung unbekannter Strauss-Operetten fort. Chor und Orchester agieren auf gutem Niveau, servieren die Musik schmissig und mit Pfiff. Die Besetzung kann operettenselig nur bei den Protagonistinnen (Dorothe Ingenfeld, Annika Egert, Andrea Chudak) mithalten. Die berauschende musikalische Waldmeister-Bowle könnte bei manch tenoraler Volte erstaunlich mehr böhmischen Kristallglanz vertragen.
Rollen und ihre Besetzung
Christof Hefele, Amtshauptmann (Bariton) Robert Davidson
Malvine, seine Frau (Alt) Dorothe Ingenfeld
Freda, Tochter (Sopran) Annika Egert
Tymoleon von Gerius, Oberforstrat (Bariton) Noah Schaul
Botho Wendt, junger Edelmann (Tenor) Daniel Schliewa
Erich, Forsteleve (Tenor) Nikolai Ivanov
Pauline, Sängerin (Soubrette) Martina Bortolotti von Haderburg
Erasmus Friedrich Müller, Professor (Tenorbuffo) Friedemann Büttner
Jeanne, Kammerzofe bei Pauline (Sopran) Andrea Chudak
Sebastian, Diener bei Hefele Noah Schaul
Danner, Adlatus des Herrn Hefele (Bariton) Simeon Pilibosyan
Honoratioren, Forstbeamte, Müller, Diener, Jagdgesellschaft, Forsteleven, Freundinnen Paulines
Dr. Ingobert Waltenberger