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CD JOHANN SEBASTIAN BACH: MOTETTEN – PYGMALION, RAPHAEL PICHON, harmonia mundi

23.10.2020 | cd

CD JOHANN SEBASTIAN BACH: MOTETTEN – PYGMALION, RAPHAEL PICHON, harmonia mundi

„Sechs Motetten, eine unerschöpfliche Quelle des Jubels, ein Geschenk für Leib und Seele“ Raphaël Pichon

Bachs „Motetten“ gehören zum anspruchsvollsten und erfülltesten, was ein Chor und seine Mitglieder erleben dürfen. Spätbarocke Blüten einer aus dem 16. Jahrhundert herrührenden Tradition an Vokalpolyphonie. Bach hat mit seinen in den frühen Leipziger Jahren entstandenen Meisterwerken musikalische Prachtkathedralen errichtet, die es mit den hervorragendsten und berühmtesten Beispielen aus der Architektur aufnehmen können. Dabei ging es entstehungsgeschichtlich gar nicht um liturgische Zwecke. Bach hat die Motetten für Private komponiert; maßgeschneidert für die jeweils speziellen festlichen Anlässe und Wünsche der Auftraggeber zeugen sie von einer enormen Vielfalt und Individualität, aber auch dem Aufkommen des Bürgertums als Förderer von Musik und Kunst.

Der französische Countertenor und Dirigent Raphaël Pichon und das von ihm 2006 gegründete Ensemble Pygmalion haben sich in ihrem jüngsten CD-Projekt sechs Bach-Motetten vorgenommen: „Lobet den Herrn, alle Heiden“ BWV 230, „Komm, Jesu, komm“ BWV 229, „Der Geist hilft unser Schwachheit auf“ BWV 226, „Fürchte Dich nicht, ich bin bei Dir“ BWV 228, „Jesu, meine Freude“ BWV 227 und „Singet dem Herrn ein neues Lied“. 

Zwischen diese Motetten fügt Pichon Schöpfungen von Bachs Vorgängern wie Vincenzo Bertolusi, Jacobus Gallus oder des Venezianers Giovanni Gabrieli, alle lateinische Motetten aus dem 16. Jahrhundert aus der Sammlung „Florilegium portense“. 1618 vom Kantor der Landesschule Pforta bei Naumburg, Erhard Bodenschatz, veröffentlicht, enthielt diese Sammlung 365 Motetten führender italienischer und deutscher Komponisten und entwickelte sich zu einem Standardwerk für den Sonntags-Gottesdienst.

Der Leipziger Thomanerchor erwarb 1672 erste Exemplare, die von Johann Sebastian Bach 1729 und 1737 durch neuere Auflagen ersetzt wurden. Das musikalische Programm eines Sonntags-Gottesdienstes in den Leipziger Hauptkirchen bestand in der Bach-Zeit also nicht nur aus einer wöchentlich neu geschriebenen Kantate, sondern aus einem komplexen Gefüge unterschiedlicher stilistischer und chronologischer Elemente. 

Pichon sieht die Motetten als Höhepunkte der abendländischen Musikgeschichte mit ihren jubelnden Fugen, komplexen Doppelchören und andachtsvollen Chorälen: „Es gibt keine andere Sammlung von Musikstücken, die einem so viel geben können wie die Motetten. ….Es gib keinen einzigen Rhythmus, nicht eine Note, die auf etwas anderem gründet als dem Ausdruck eines unerschütterlichen Glaubens. Seine inspirierte, freie und überschwängliche Gestaltung führte Johann Sebastian Bach auf Höhen, die in der Chormusik nie erreicht wurden.“

Der exzellente Chor von 28 Stimmen wird von einem fünfköpfigen Ensemble an historischen Instrumenten mit Generalbass begleitet. Allesamt nennen sie sich „Pygmalion“. Pichon und den Seinen gelingt eine federnde, mediterran leuchtende Wiedergabe. Die Konsonanten werden behutsamer, weniger knallig ausgesprochen als dies bei einem deutschsprachigen Chor der Fall wäre. 

Wie bei gotischen Schnitzaltären und ihren filigranen Verästelungen fasziniert eine diaphane Stofflichkeit im Vortrag. Das expressive Tänzeln der Stimmgruppen ist durchwirkt von kontrapunktisch versetzten Notengirlanden. Mit Selbstverständlichkeit fügt sich hier das Schwierigste zum spielerisch gezupften Akkord, erheben sich klare und verständliche Botschaften aus den kunstvoll hallenden Klangtürmen. Die Musik wogt und weht, sie schwingt und bringt unsere verborgensten Saiten zum Vibrieren. Nahrhafter Seelenschmaus, Streicheleinheiten fürs Gemüt, 80 Minuten Lebensschule fürs Ohr.

Dr. Ingobert Waltenberger

 

 

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