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CD JOHANN SEBASTIAN BACH „MATTHÄUS-PASSION“ – GAECHINGER CANTOREY; accentus music

01.04.2021 | cd

CD JOHANN SEBASTIAN BACH „MATTHÄUS-PASSION“ – GAECHINGER CANTOREY; accentus music

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 Ostern ohne die Matthäus-Passion, ohne eine neue Matthäus-Passion? Da fehlte doch etwas. Also sind es diesmal Hans-Christoph-Rademann und die Gaechinger Cantorey, die mit einer spirituell tief erfüllten Neuaufnahme exemplarisch vorführen, wie plastisch, volkstonhaft herzergreifend und dennoch dramatisch aufgeladen die Leidensgeschichte Jesu Christie interpretiert werden kann. 

 

Früher unter der musikalischen Leitung von Helmuth Rilling waren es das Ensemble Bach-Collegium Stuttgart und die Gächinger Kantorei Stuttgart, die in Sachen Bach auf Weltklasseniveau spezialisiert waren. Seit der Saison 2016/17 haben sich unter der Stabführung des Hans-Christoph Rademann ein neues Barockorchester und ein reformierter Chor zu neuen Taten zusammengefunden, die vielleicht noch gleichbleibend professioneller und perfektionistischer als ihre Vorgänger agieren. 

 

Es gibt viele hervorragende Aufnahmen dieser wohl berühmtesten Bach-Passion. Was mich an der Neuaufnahme begeistert, sind der selbstverständlich flüssige Erzählton der Rezitative, der sich in den Arien konsequent fortsetzt, die wie ein organisches Naturereignis nur miteinander fassbaren Pole kontemplativer Choräle versus theatralisch eingeworfener Chören sowie insgesamt die geschlossene Ensembleleistung, der sich alles und jede/r unterordnet.

 

Der Hörer könnte den Eindruck haben, von oben eine Osterkrippe zu beobachten und Zeuge davon zu werden, wie die sorgsam angeordneten handgeschnitzten Figuren zu Leben erwachen, sich zueinander in eine dynamisch sich entwickelnde Beziehung setzen und so unsere Aufmerksamkeit völlig absorbieren. Die Geschichte beginnt bei Bach im Moment, wo Jesus seinen Jüngern die Kreuzigung vorhersagt und endet bei der Grablegung. Die Auferstehung bleibt ausgespart, dafür taucht uns der wie ein Gebet hypnotisch wirkende Schlusschor „Wir setzen uns mit Tränen nieder“ in einen vollkommen angstbefreiten Ruhezustand. 

 

Rademann steuert das musikalische Bewegungsprofil dieser Passion behutsam von der Fingerkuppe aus. Kleine Bewegung, große Wirkung ist hier die Devise. Er und seine makellos einstudierten Ensembles legen dabei auf das geringste Detail in Wort und Ton Wert. Die mit schlanken Stimmen besetzte Solistenschar (Isabel Schicketanz Sopran, Marie Henriette Reinhold Alt, Patrick Grahl Evangelist, Benedikt Kristjánsson Tenor, Kresimir Strazanac Bass, Peter Harvey Stimme Christie, Florian Schmitt-Böhn Judas, Andrey Akhmetov Petrus) lädt ihre Gesangslinien mit Sinn und verhaltener Emotion auf. Die orchestral lautmalerisch geführten Pinselstriche fügen sich zum erschütternden christlichen Menschheits-Drama, nicht in Form eines pastosen Ölbilds, sondern äquivalent delikat ziseliert wie die klaren Linien Dürers in seinen zwölf Holzschnitten „Die große Passion“.   

 

Bei aller dramaturgischen Spannkraft wird stets auf eine bestimmte feierliche Schönheit des Tons, des ausgewogenen chorischen Miteinanders geachtet. Zum Niederknien gut!

 

Dr. Ingobert Waltenberger

 

 

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