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CD JOHANN SEBASTIAN BACH „BRANDENBURGISCHE KONZERTE“ – IL GUSTO BAROCCO; Berlin Classics

Als wären‘s von Vivaldi

02.04.2021 | cd

CD JOHANN SEBASTIAN BACH „BRANDENBURGISCHE KONZERTE“ – IL GUSTO BAROCCO; Berlin Classics

 

Als wären‘s von Vivaldi

 

Für mich ist es die Aufgabe der Alten Musik Szene, Keimzellen zuzulassen, die etwas ausprobieren, was nicht sofort marktmäßig eingeordnet werden muss.“ Jörg Halubek

0885470016764

 

Im August 2019 in der Orangerie von Ansbach aufgenommen, bringen diese von „Il Gusto Barocco“ unter ihrem künstlerischen Leiter Jörg Halubek interpretierten „Brandenburgischen Konzerte“ mediterranes Flair ins Wohnzimmer. Seit Nikolaus Harnoncourt in den frühen 60- er Jahren mit seiner bahnbrechenden Einspielung der „Brandenburgischen“ mit dem Concentus Musicus den Einsatz eines Originalkanginstrumentariums zur Richtschnur barocken Musikverständnisses erhob, ist viel Wasser die Donau oder sonstwo hinuntergeflossen.

 

Dementsprechend wollen Jörg Halubek und sein Ensemble mit der neuen CD den aktuellen „Forschungsstand“ berücksichtigen. Keine Furcht, das Ergebnis klingt alles andere denn akademisch trocken. Vielmehr überrascht nach einer zweiwöchigen Proben- und Experimentalphase ein völlig entspanntes Musizieren, die klangliche Gewichtsverteilung der Instrumentengruppen bzw. der Soli im konzertierenden Wettbewerb wirken bei aller gefühlten Spontanität minutiös austariert. Das Klangbild, das bei älteren Originalklangaufnahmen bisweilen gefürchtet scharf klang, ist rund und sinnlich. 

 

Noch dazu versucht sich die Neueinspielung an besonderen Instrumenten, wie etwa einer Violine piccolo (Kopie einer Amati) im ersten Konzert, die von der Geigerin Anais Chen so beschrieben wird: „Sie hat etwas Schreiendes in der hohen Lagen, auf der höchsten Saite klingt sie herzzerreißend, in den mittleren und unteren Lagen ist der Klang eher näselnd.“ Warum sie für dieses Repertoire lieber auf einer nach alter Technik gestalteten Geige spielt, ist ebenso klar: Die musikalischen Mittel sind reicher. Auf einer Barockgeige kann  man in jede Richtung besser artikulieren, etwa am Tonanfang oder Tonende. Man kann den Ton an sich feiner gestalten und ihn so dem Charakter der Musik anpassen.

 

Ähnliches gilt für die hohe f-Trompete im zweiten Brandenburgischen Konzert, wo es wichtig ist, dass der Klang im Ensemble der vier ineinander greifenden Soloinstrumente ausbalanciert wird. Wenn im hohen Register nicht zart, beinahe durchsichtig gespielt wird, ist die Blockflötenstimme kaum noch zu hören, lässt uns Trompeter Russell Gilmour an seinen Überlegungen teilhaben.   

 

Die Temporegie der zur Form der italienischen Concerti grossi gehörenden Konzerte ist straff angelegt. Die von Bach völlig innovativ eingesetzten Instrumentalkombinationen und für damalige Verhältnisse kühnen Variationen an Tutti- und ihren Solo-Kombattanten (miteinander konzertierende Hörner, der Einsatz des Cembalos wie in einem Klavierkonzert im 5. Brandenburgischen) greifen in der Neuaufnahme ineinander wie die sprichwörtlichen Zahnräder einer Schweizer Luxusuhr. 

 

Die Frische und tänzerische Luftigkeit im Musizieren, die akrobatischen Volten der Solisten, die Spielfreude und Lust am schmucken Zierrat samt unerwarteten Übergängen des vorliegenden wahrlich empfehlenswerten Albums darf uns auch wieder einmal daran erinnern, wie sehr Bach den Venezianer Vivaldi verehrt und bewundert hat. Zehn Violinkonzerte Vivaldis hat Bach in seiner Zeit als Weimarer Hofkapellmeister 1708-1717 arrangiert, sieben davon für Cembalo, drei für Orgel solo. Die „six concerts avec plusieurs Instruments“ hat Bach 1721 für den Markgrafen Christian Ludwig von Brandenburg zusammengestellt.

 

Anmerkung: Il Gusto Barocco wurde 2008 vom Dirigenten, Cembalisten und Organisten Jörg Halubek in Stuttgart gegründet. Das Ensemble eint international tätige Virtuosen der jüngeren Generation. Das Alte Musik-Ensemble tritt werkgerecht in kammermusikalischer oder in großer Orchesterbesetzung an. 2020 riefen die Alte Musik-Spezialisten eine neue Stuttgarter Barockreihe ins Leben. Die Einspielungen von Claudio Monteverdis „Marienvesper“ (SWR 2 / cpo) 2020, Johann David Heinichens „Flavio“ (Ersteinspielung SWR 2 / cpo) 2019 und Giuseppe Antonio Brescianellos „Tisbe“ (SWR 2 / cpo) 2015 geben davon beredtes Zeugnis.

 

Dr. Ingobert Waltenberger

 

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