CD JOHANN ADOLF HASSE: SERPENTES IGNEI IN DESERTO – Oratorio a 6 voci con stromenti: Barockes Stimmenfest mit Jaroussky, Lezhneva, Orlinski, de Sá, Vistoli und Hansen; Erato
„Da schickte der Herr Feuerschlangen unter das Volk. Sie bissen das Volk und viel Volk aus Israel starb. Da kam das Volk zu Mose und sagte: Wir haben gesündigt, denn wir haben uns gegen den Herrn und gegen dich aufgelehnt. Bete zum Herrn, dass er uns von den Schlangen befreit! Da betete Mose für das Volk. Der Herr sprach zu Mose: Mach dir eine Feuerschlange und häng sie an einer Stange auf! Jeder, der gebissen wird, wird am Leben bleiben, wenn er sie ansieht. Mose machte also eine Schlange aus Kupfer und hängte sie an einer Stange auf. Wenn nun jemand von einer Schlange gebissen wurde und zu der Kupferschlange aufblickte, blieb er am Leben.“ Num 21,6–9
Hasses Oratorium nach einem Stoff aus dem Alten Testament, zeigt diesen deutschen Komponisten, dessen Karriere sich auf Neapel und Venedig, Wiener und sächsischem Hof konzentrierte, auf der Höhe seines immensen kompositorischen Könnens. Operngeeicht, trumpft Hasse nicht zuletzt in seinen geistlichen Werken – wo passend – mit Bravour und koloraturpyromanischer Glut auf. Aber es ist der feinsinnige Melodiker und Gestalter atmosphärisch beredter Klangwirkungen (Noally nennet das „Belcanto-Lyrik von großer Tiefe.“), der berührt und sich auch in diesem für das venezianische Ospedale degli Incurabili (eigentlich Spital für unheilbar Erkrankte ab Beginn der Ausbreitung der Syphilis) verfasste Stück etwa bei des Engels „Aura beata“ mit demütiger Inbrunst nicht lumpen lässt.
Dieses Ospedale stand mit drei anderen nicht minder berühmten musikalisch karitativen Institutionen in Venedig (Ospedale della Pietà, Ospedale di Santa Maria dei Derelitti und das Ospedale di San Lazzaro dei Mendicanti) Waisenkindern und unehelich geborenen Mädchen offen. Ab dem frühen 16. Jahrhundert stießen ehemalige Prostituierte und Mädchen aus Adel und Bürgertum dazu, deren abgeräumte Familienkassen keinen adäquaten Unterricht zuließen.
Die jungen Musikerinnen spielten und sangen ihre Konzerte entsprechend dem liturgischen Kalender hinter schmiedeeisern ornamentierten Choremporen. Gesehen werden durften sie ja nicht. Was sie künstlerisch drauf hatten, kann man heute anhand der für sie von ihren jeweiligen Chorleitern geschriebenen Werken ermessen und nur vorbehaltlos bewundern. Johann Adolf Hasse wurde 1736 als Nachfolger von Nicola Porpora Maestro di coro dieser ehrwürdigen, weit über die Landesgrenzen ausstrahlenden, musikalisch glanzvollen Institution.
Serpentes ignei in deserto, also Feuerschlangen von Gott als Strafe für die Auflehnung des hebräischen Volkes wegen des beschwerlichen Auszugs aus Ägypten zahllos in die Wüste geschickt, waren sicher keine „süßen Herzlern“. So mancher Biss endete rasch tödlich. „Snakenado“ als meine persönliche Horrorvision und Ergebnis gotteslästerlicher Wut bedurfte daher einer gnadenreichen Milderung.
Dank Moses und dessen Antivenom in Form eines reuigen Blickes auf die „eherne“ Nehuschtan an der Stange, konnten die zahlreich von Vipern und Kobras Gebissenen am Leben bleiben. Im Johannesevangelium referiert die eherne Schlange als Lebenssymbol auf Christus Leiden und Erlösung am Kreuz.
Hasses Oratorium nach einem Libretto von Bonaventura Bonomo erzählt diese eigentümlich geschickt Urängste nutzende Geschichte aus der Perspektive des für Gott artikulierenden Moyses (Philippe Jaroussky) und damit kontrastierend aus derjenigen eines schützenden Engels (Angelus: Julia Lezhneva mit wahrlich himmlischer Tongebung). Vier Hebräer repräsentieren die Stimme des Volkes: Der störrisch gegen menschliche wie göttliche Macht aufbegehrende Eliab (David Hansen), die gottesfürchtigen, an die Güte des Herrn glaubenden Eleazar (Carlo Vistoli) und Josue (Bruno de Sá) sowie last but not least Nathanael (Jakub Josef Orlinski), der die Giftschlangen seherisch nahen spürt.
Natürlich ist es der Engel, der von der Heilsprophezeiung kündet. Die Musik nimmt dieses alte Glaubensbekenntnis auf und schwelgt in jubelndem Gotteslob, Vergebungsfeier und Reuegebet. Und wer könnte dem einschmeichelnden Sopran von Julia Lezhneva widerstehen, die auf diesem Album die wohl bedeutendste Leistung bietet?
Auch die Herren Jaroussky (dessen berühmte Stimme schon spätherbstlich gefärbt einem starken Vibrato zuneigt), Vistoli, de Sá und Orlinski bieten Countertenor-, bzw. Sopranistengesang allererster Qualität. Natürlich ist das Stück in Nummern geteilt, von denen Moyses und Angelus jeweils zwei Arien zufallen, während alle anderen Protagonisten in einer einzigen Arie ihre Befindlichkeiten gewandt zum Besten geben dürfen. Der Rezitativ- und Arienreigen wird durch das Duett Josue – Eleazar „Moesto corde suspirantes“ ein wenig aufgelockert.
Eine nicht zuletzt durch die prickelnde Musikalität von Dirigent Thibault Noally und seinem quicklebendig moussierend wie stimmungsvoll aufspielenden Ensemble Les Accents geglückte Einspielung, an der Melomanen und Freunde barocken Zier- und Ausdrucksgesangs mit Vorliebe für das Fach „Countertenöre“ nicht vorbeikommen werden.
A propos Countertenöre: Vom 27.2. – 2.3.2025 wird der erste Farinelli-Wettbewerb für Countertenöre anlässlich der 47. Internationalen Händel-Festspiele Karlsruhe in den Räumlichkeiten des Badischen Staatstheaters Karlsruhe stattfinden. Er wurde vom Künstlerischen Leiter der Festspiele Christoph von Bernuth initiiert. Der Farinelli-Wettbewerb hat Countertenöre aller Stimmfächer unter 35 Jahren zur Zielgruppe. Eine fünfköpfige Fach-Jury entscheidet und – für Neulinge besonders interessant – es werden auch konkrete Engagements vergeben, u. a. bei den Internationalen Händel-Festspielen Karlsruhe 2026 sowie beim Bayreuth Baroque Opera Festival. Einer geschlossenen Vorrunde am 27.2.2025 folgt das Semifinale am 28.2.2025, in dem bereits der Sonderpreis Neue Musik vergeben wird. Das Finale am 2.3.2025 mit anschließender Preisverleihung wird öffentlich ausgetragen und auch via Live-Stream gezeigt. Bewerbungsschluss für teilnehmende Künstler ist der 31.12.2024. Nähere Informationen sind unter https://www.staatstheater.karlsruhe.de/programm/oper/farinelli-wettbewerb/ abrufbar.
Dr. Ingobert Waltenberger