CD JOE HISAISHI IN VIENNA: Zweite Symphonie – Wiener Symphoniker brillieren im live Mitschnitt aus dem Wiener Musikverein vom 30.3.2023; Deutsche Grammophon
Joe Hisaishi, japanischer Komponist des Studio-Ghibli-Sounds, tut es, John Williams tut es. Befügelt von den Welterfolgen ihrer Klangschöpfungen für die Leinwand, erproben sich diese Weltmeister, filmische Tableaus mit akustischer Spannung in ihrer Wirkung zu potenzieren, im symphonischen bzw. Konzertrepertoire und noch dazu als Dirigenten ihrer Eigenschöpfungen in renommiertesten Sälen.
Joe Hisaishi, der u.a. seine Kammersymphonie für Bandeoneon & Kammerorchester „The Black Fireworks“ eingespielt hat, ist nun mit seiner dreisätzigen Zweiten Symphonie mit den programmatischen Untertiteln „What the world is now?, Variation 14 und Nursery Rhyme“ an der Reihe. Es handelt sich nach „A Symphonic Celebration – Music from the Studio Ghibli Films of Hayao Miyazaki“ um sein zweites Album für das Gelblabel.
Hayao Miyazaki, dessen Zeichentrickimaginationen „Chihiros Reise ins Zauberland“, „Prinzessin Mononoke“, „Mein Nachbar Totoro“, „Was wandelnde Schloss“ oder „Das Fliegende Schloss“ als fantastisch poetische Filme Geschichte geschrieben haben, weiß warum er den akustischen Part seiner Kunstwerke Joe Hisaishi anvertraut hat.
Letzterer bleibt auch in seiner Zweiten Symphonie, allen Anleihen bei den Techniken der Minimal Music zum Trotz, ein formal ausgeklügelter Stimmungszeichner im Musikalischen.
Gemeinsam mit der später unter Studiobedingungen eingespielten Viola Saga mit Antoine Tamestit als Solisten und den grandiosen Wiener Symphonikern mit ihrem hell flirrenden Streicherklang sind diese Weltersteinspielungen nun auf CD, Vinyl oder der labeleigenen Streamingplattform auf STAGE+ zu erleben. Dirigiert hat in beiden Fällen der Komponist selbst, was den Aufnahmen einen Duft an Authentizität verleiht.
Hisaishis Wunsch, dass seine „Musik ebenso natürlich klingt, wie Wolken sich formen oder Jahresringe eines Baumes organisch wachsen“ ging aus meiner Wahrnehmung nicht in Erfüllung. Die Zweite Symphonie, 2021 in Kyoto uraufgeführt, kann jedoch in ihrer rhythmischen Unerbittlichkeit und alle musikgeschichtlichen Einflüsse (französischer Impressionismus, Mahler, Shostakovich, John Cage, um nur einige zu nennen) zu einem eigenen Kosmos destillierend, durchaus als Aufmerksam bindendes und eklektisch-einfallsreiches „Kind der Klassik“ bestehen. Was bei beiden Werken, also auch der „Viola Saga“, auf- und gefällt, ist neben der handwerklich gelungenen Komponente der durchwegs positive, energetisch geladene Grundduktus. Hisaishi zur Kompositionstechnik: „Als Minimalist nehme ich ein Motiv, arbeite daran, entwickle es nach und nach und setze alles daran, dass es 20 Minuten lang trägt.“
Die starken Kontraste, die kurzen Sequenzen und die rhythmischen Sperrfeuer samt virtuoser Instrumentierung sorgen dafür, dass sich die in endlosen Variationenschleifen ergehenden Themen kurzweilig anhören. Das Orchester ist eingeladen, notabene die einzelnen Instrumentengruppen, allen voran Streicher, Blech und Perkussion, zu Showcases an Präzision und klanglicher Effektivität zu animieren.
Im ersten Satz „Wie die Welt nun wohl ist?“ flüstern und surren die Violinen wie im Bienenstock, formieren sich die repetitiven Rhythmen zu einer exzentrischen mechanischen Reise. Das Tempo – unterbrochen von einem kurzen Innehalten – steigert sich zu einem rasanten hymnischen Kehraus. Die „Variation 14“ geht es spielerischer und japanischer angehaucht an. Laden Trompeten und Flöten in harschen Synkopen zum Fest, gar einem rituellen Tanz? Wieder kitzeln gegen den Strom gebürstete rhythmische Sequenzen das Ohr, schnatternden Plaudertaschen gleich scheinen sie im Dampfmaschinencrescendo die glutvolle Atmosphäre in unseren Metropolen zu ironisieren. Im als „Kinderlied“ bezeichneten dritten Satz hebt die einfache volkstümliche Melodie in einfacher Besetzung an. Auch dieser Abschnitt lebt vom Kunstkniff einer monothematischen, in Tempo und Dynamik variierten, steten Steigerung, wie sie einst Maurice Ravel im „Bolero“ so beispielhaft vorexerziert hat und von vielen der Richtung „Minimalismus“ angehörenden Komponisten kopiert wurde. Effekt und kraftvoll ja, virtuos ja, psychedelisch hämmernd ja, subtil nein. Ab der elften Minute beruhigt sich die Stimmung für kurze Zeit, um einem martialischen Marsch á la Shostakovich Raum zu geben, bis das Liedthema des Beginns im Nichts endet.
Viola Saga ist aus einem etwas anderen Holz. Das zweisitzige, der Bratsche gewidmete Stück startet mit einem barocke Vorbilder imitierenden Solo (Doppelgriffe), bevor Hisaishi wieder an der rhythmischen Stellschraube zu drehen beginnt. Artistischen Artefakten gleich umschlingen sich Soli und Orchester in einem Reigen gegenseitiger Annäherung, flirten, was das Zeug hält. Der französische Bratschist Antoine Tamestit, der diese Saga mit dem Komponisten am Pult seither in verschiedenen Konzerten gespielt hat, hält die Erzählzügel straff gespannt. Besonders faszinieren die Präzision und eine duftige Leichtigkeit der Tonalität, in der sich Orchester, und Solist begegnen.
Ob die Stücke Bestand haben oder aber Caspar David Friedrichs Worten zu seinem Gemälde „Mönch am Berg“ folgen („Tief zwar sind deine Fußstapfen am öden sandigen Strandte; doch ein leiser Wind weht darüber hin, und deine Spuhr wird nicht mehr gesehen: Thörigter Mensch voll eitlem Dünkel.“), wird am Ende die Musikgeschichte erweisen. Ich meine, dass mit diesen künstlerisch optimalen Aufnahmen der erste Schritt zu einem langen Leben hin gesetzt ist. Auf jeden Fall sprechen mich Hisaishis „Zweite Symphonie“ und besonders die „Viola Saga“ in ihrer flirrend bis stampfenden Euphorie mehr an als John Williams in serieller Esoterik badenden Violinkonzerte.
Verschiedenes: 2023 wurde Joe Hisaishi für die Filmmusik der Produktion, „The Boy and the Heron“ (Der Junge und der Reiher), für einen Golden Globe nominiert. Außerdem wurde er vom Royal Philharmonic Orchestra zum “Composer-in-Association” als Ausfluss der Zusammenarbeit in “A Symphonic Celebration” ernannt. Auf drei Jahre angelegt, sollen Auftragswerke für Konzerte, Studioaufnahmen sowie die Beteiligung des Komponisten an neuen digitalen und technologiebasierten RPO-Projekten entstehen.
Dr. Ingobert Waltenberger