CD: JOACHIM RAFF: TRAUMKÖNIG UND SEIN LIEB/ AUGUST WALTER: SINFONIE ES DUR –
Marie-Claude Chappuis, Swiss Orchestra, Lena-Lisa Wüstendörfer
Aus der Schatzkammer Schweizer Sinfonik
Vom 20. – 22. August 2020 hat das Swiss Orchestra unter Leitung seiner Gründerin Lena-Lisa Wüstendörfer im ZKO-Haus Zürich seine Debut-CD aufgenommen. Das Orchester, das sich zum Ziel gesetzt, vergessene Schweizer Sinfoniker wieder auf den Konzertbühnen zu verankern, bringt hier das Orchesterlied „Traumkönig und sein Lieb“ von Joachim Raff (1822-1882) und die einzige Sinfonie, die Sinfonie in Es-Dur, von August Walter (1821-1896) zu Gehör.
Joachim Raff, Sohn eines vor einer württembergischen Zwangsrekrutierung in die Schweiz geflohenen Schulmeisters und einer Wirtstochter, zeigte schon früh mit Geigen-, Klavier- und Orgelspiel musikalisches Talent. Entscheidende Förderer seiner Karriere waren Felix Mendelssohn Bartholdy, der Breitkopf & Härtel erfolgreich mehrere Klavierkompositionen Raffs zur Veröffentlichung empfahl, und Franz Liszt, der ihn nach Weimar holte und zu seinem Assistenten machte. Als freischaffender Komponist in Wiesbaden und erster Direktor des Hoch’schen Konservatoriums in Frankfurt am Main hatte Raff nun eine gesicherte Existenz und internationalen Erfolg.
Raff, ein enorm vielseitiger und produktiver Künstler, galt zu Lebzeiten als einer der gefragtesten Komponisten des deutschen Kulturraums und wurde von zeitgenössischen Kommentatoren in eine Reihe mit Wagner und Brahms gestellt. Wurden seine Werke zu seinen Lebzeiten häufig gespielt, geriet er nach seinem Tod rasch in Vergessenheit, der er jetzt vom Theater Regensburg mit der Aufführung seiner Oper „Dame Kobold“ (https://www.theater-regensburg.de/spielplan/details/dame-kobold/) oder eben dem Swiss Orchestra entrissen wird.
Das Orchesterlied „Traumkönig und sein Lieb“ ist ein frühes Beispiel der Gattung Orchesterlied, also der Gattung jener explizit für Gesang und Orchester komponierten Lieder, und basiert auf einem Gedicht von Emanuel Geibel (1815 -1884). Gewidmet hat Raff das Werk der Sängerin Emilie Genast (1833 -1905): sie, Enkelin von Goethes Regisseur Anton Genast (1763 -1831) und Schwester von Raffs späterer Frau Doris, sollte seine Musik bekannt machen.
„Hätte ich seinerzeit statt in dem erzkonservativen Wien meinen Aufenthalt in Leipzig genommen, inmitten der romantischen Strömung, dann hätte die Sinfonie ohne Zweifel ein anderes Gesicht bekommen, mehr mit Mendelssohn, Schumann getränkt als mit Mozart, Beethoven, welche als Vorbilder zwar auch nicht zu verachten sind“ notiert August Walter (1821-1896) in den Aufzeichnungen über sein Leben. Geboren in Stuttgart als Sohn eines äussert musikaffinen Zuckerbäckers hatte er in seiner Heimatstadt und Wien Musik studiert. Dort erklang am 19. Januar 1845 unter seiner Leitung und von der Hofkapelle gespielt zum ersten Mal seine Sinfonie in Es-Dur. Formvollendet traditionellen Entwicklungslinien folgend wurde sie ein voller Erfolg. Knapp zwei Jahre später wurde sie zum ersten Mal in Basel gespielt. Hier war Walter seit einem guten Jahr Musikdirektor. Bis zu seinem Tod im Jahre 1896 war er für die Programmierung der öffentlichen Konzerte verantwortlich, förderte die Professionalisierung des Konzertwesens und öffnete das Konzert-Repertoire bis hin zum Barock.
Marie Claude Chappuis interpretiert „Traumkönig und sein Lieb“ mit ihrem warmen, farbenreichen Mezzosopran und vorbildlicher Textverständlichkeit. Das Swiss Orchestra begleitet höchst differenziert und verleiht der gehobenen Perle weiteren Glanz. Zu grosser Form läuft das Orchester in Walters Sinfonie in Es-Dur auf.
Es ist dem Swiss Orchestra und seiner Gründerin Lena-Lisa Wüstendörfer gelungen, zwei wahre Perlen aus der noch reich gefüllten Schatzkammer der Schweizer Sinfonik zu heben.
10.12.2020, Jan Krobot/Zürich