CD JOACHIM RAFF: BENEDETTO MARCELLO – Lyrische Oper in drei Akten, Mitschnitt der Welturaufführung vom 4.10.2002 in Bad Urach; Sterling World Premiere
Der schweizerisch-deutsche Komponist Joachim Raff war nicht nur einer der im 19. Jahrhundert bedeutendsten Sinfoniker, er hat mit der Künstleroper über die Barockkomponisten Benedetto Marcello und Johann Adolf Hasse ein höchst charmantes, der Frühromantik huldigendes Konversationsstück in der Nachfolge von Albert Lortzing und Friedrich von Flotow geschaffen. Damit die Künstler- und Liebeskomödie so recht in die Gänge kommt, dürfen auch Faustina Bordoni und Rosana Scalfi auf dem Besetzungsplan nicht fehlen.
Raffs musikalische Qualitäten wurden von keinen Geringeren als Mendelssohn-Bartholdy und Franz Liszt (an)erkannt und gefördert. Als Liszts Assistent in Weimar schrieb er – von der Klangsprache her ganz und gar kein eifriger Epigone des ungarischen Neutöners, aber dennoch geschickt die Wagner‘sche Chromatik in das Melodische der Musik übertragend – Lieder, Klavier- und Kammermusik, Chöre und Opern. Ab 1856 lebte Raff in Wiesbaden als Musiklehrer und freiberuflicher Tonsetzer, er war Gründungsdirektor des Konservatoriums in Frankfurt am Main und trat auch als Librettist eigener musikdramatischer Werke auf den Plan. „Kunst und Liebe“, so lautete der ursprüngliche Titel seiner fünften Oper, nahm Raff 1875 in Angriff. Der Barockmusik zugeneigt, machte Raff zwei der führenden Komponisten des 18 Jahrhunderts zu Protagonisten, deren Beziehungen zu Schülerin Rosana Scalfi (des Venezianers Marcello) und zur Diva Bordoni (des Deutschen Hasse) durchaus der historischen Wahrheit entsprechen.
Das Libretto zur lyrischen Oper „Marcello Benedetto“, die aufgrund der kleinen Orchesterbesetzung und des nur vierköpfigen Bühnenpersonals als Kammeroper zu bezeichnen nicht fern liegt, schrieb Raff selbst. Nach einer prickelnden Ouvertüre à la Rossini (in der weder die Creszendo Drehorgel noch der Sturme fehlen) tauchen wir mit Begeisterung in die Welt einer entzückenden Oper mit flotten Ensembles und jeder Menge an Italianità. . Mark Thomas hält fest: „Mit ihrer verschwenderischen Melodik, ihrer farbigen und doch durchsichtigen Orchestration, ihrer dynamischen Vielfalt und ihrem puren Raffinement enthält die Partitur alles, was für die Musik ihres Komponisten insgesamt so typisch ist. Durchströmt von einem leichten Lokalkolorit und tanzhaften Rhythmen lässt sie den Hörer nirgends in Zweifel daran, dass die Handlung in Italien spielt. Nahtlos fließt die Musik von einer Situation und einer Gestalt zur nächsten, wie es das Schauspiel vorgibt.“
Raff dürfte sich nicht sehr um eine Aufführung bemüht haben, so sehr war er von seinen Verpflichtungen am Konservatorium in Frankfurt in Anspruch genommen. Umso glücklicher dürfen wir uns schätzen, mit dem aufnahmetechnisch und musikalisch hervorragenden Mitschnitt der konzertanten Premiere in der Metzinger Stadthalle nun dieser vergnüglichen Oper zumindest auf Tonträger lauschen zu dürfen.
Das SWR Rundfunkorchester Kaiserslautern wird hoch animiert und voll romantischem Zauber von Grzegorz Nowak dirigiert, die Aufführung insgesamt ist quicklebendig und profitiert von vier schönen und lyrisch kernigen Stimmen: Der Wagner-Bariton Detlef Roth als Benedetto Marcello darf seine Nummer als eifersüchtiger Nebenbuhler Hasses um die Bordonis mit viel Ironie und dennoch erfolglos mit Degen durchziehen. Im dritten Akt kapiert er endlich, was er an seiner Schülerin Rosana hat. Sein Bariton ist ein Glücksfall an Eleganz und viriler Ausstrahlung.
Rosana wiederum wird von Margarete Joswig ganz und gar prächtig gesungen. Joswig, endlich einmal ein Mezzo mit profunder Tiefe, bezaubert mit einem frisch sämigen Timbre, einer bruchlos in allen Lagen gleichermaßen anspringenden Stimme sowie einer feinen Phrasierung und Textgestaltung. Diese Qualitätssängerin auf die private Verbindung mit Jonas Kaufmann zu reduzieren, ist unzulässig. Witzig und herzerwärmend ist Melba Ramos als koloraturgewandte Bühnenlegende Faustina Bordoni, kein vokales Feuerwerk ist ihr zu heiß. Johannes Kalpers ist mit seinem schlank und rank geführten Mozart-Tenor eine echte Entdeckung für mich.
Fazit: Was für eine herzerwärmende Erfahrung, diese kurzweilige und humorvolle Oper kennen zu lernen. Die Oper kann in ihrer Polystilistik zwischen Barock, Rokoko, Belcanto, Frühromantik und Wagner und in ihrer berührenden Intimität samt Schlüssellochfaktor der Geschichte als Zwischenglied hin zu den Künstleropern von Richard Strauss, wie „Die schweigsame Frau“, „Capriccio“ oder „Intermezzo“, gesehen werden. Irgendwie entsteht nach dem Anhören große Lust, auch den Symphoniker Raff zu entdecken.
Dr. Ingobert Waltenberger