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CD JEAN SIBELIUS: Symphonie Nr. 4, Valse triste, Die Waldnymphe – SANTTU-MATIAS ROUVALI dirigiert das Gothenburg Symphony Orchestra; Alpha

11.02.2024 | cd

CD JEAN SIBELIUS: Symphonie Nr. 4, Valse triste, Die Waldnymphe – SANTTU-MATIAS ROUVALI dirigiert das Gothenburg Symphony Orchestra; Alpha

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2018 hat der finnische Dirigent Santtu-Matias Rouvali mit einem eigenen Sibelius-Zyklus begonnen und setzt damit eine Tradition fort, die seine finnischen Vorgänger, u.a. Paavo Berglund, Osmo Vänskä, Hannu Lintu oder Leif Segerstam zu Spitzenleistungen animiert hat. Bisher sind die Erste, Zweite, Dritte und Fünfte, „En Saga“ und die „King Christian II“ Suite erschienen. Die aktuelle Publikation ist der „Vierten“ in a-Moll, Op. 63, der symphonischen Dichtung „Die Waldnymphe“ sowie der „Valse Triste“ gewidmet.

Seit 2017 ist der junge Finne Santtu-Matias Rouvali Chefdirigent des Gothenburg Symphony Orchestra. Wie seine Landsmänner Klaus Mäkelä oder Esa-Pekka Salonen entstammt Rouvali aus der berühmten finnischen Dirigentenschmiede von Jorma Panula. Wie bei Mäkelä stand am Anfang eine profunde instrumentale Ausbildung und Berufserfahrung. War es bei Mäkelä das Cello, so erntete Rouvali als Schlagzeuger erste Sporen im Orchesterbusiness. Hatte Mäkelä seine Zusammenarbeit mit der DECCA mit einer Gesamtaufnahme des gesamtsymphonischen Werks von Jean Sibelius (Oslo Philharmonic) gestartet, so ist der Zyklus von Rouvali auf mehrere Jahre hin angelegt.

Unter äußerst ungünstigen gesundheitlichen und finanziellen Lebensumständen des Komponisten begonnen, ist diese „Vierte“, dieses „einmalige Stück, das niemand liebt“ (Colin Davis), keinesfalls als ein bloß nassnebeliges, dunkles Psychogramm zu lesen. Ohne dezidiertes Programm wechselt die vielleicht avantgardistischste seiner Symphonien, 1912 aus der Taufe gehoben, vielmehr von einer Stimmung zur anderen, bald wütet ein Himmel unter herbstlich stürmisch sich auftürmenden Wolken, bald lässt ein schützender Wald den müden Wanderer Mut fassen.

Ich spüre eine aus Schmerz erwachsene Riesensehnsucht in dieser Musik, die sich erhaben dreht und in Trauer windet, sich am Ende zu nichts entscheiden will. Im ersten Satz wagnert es gehörig, wenngleich Sibelius den hochromantischen symphonischen Duktus polyphon strukturiert, vernarrt in übermäßige Quarte und Tritonus, und auch in der Instrumentierung völlig eigene Wege ging.

Die Interpretation von Rouvali halte ich mit derjenigen im dritten Sibelius-Zyklus von Paavo Berglund mit dem Chamber Orchestra of Europe als die strukturell eindringlichste und klanglich aufwühlendste. Verstörend? Nein. Radikal. Ja. Kammermusikalisch und architektonisch klar aufgefächert, vermag Rouvali grell-ambivalente Leidenschaften zu entfachen, dynamische Pole zu setzen, ohne ins Zerklüftete zu stürzen. Immer wieder ploppen kleine Idyllen auf, die nach Blechbläserkanonaden umso ruhiger aufatmen lassen.

Nach der herben Kost der expressionistischen „Vierten“ sind auf dem Album die 1895 uraufgeführte Tondichtung für Orchester „Die Waldnymphe“, Op. 15 (Skogsrået), inhaltlich basierend auf dem symbolistischen Gedicht des schwedischen Dichters Victor Rydberg, und die „Valse Triste“ Op. 44 zu hören. 

In der „Waldnymphe“ geht es, wie der Titel im Kontext der Entstehungszeit ahnen lässt, um ein fürchterliches Sujet: Als Preis für Liebe (gemeint ist wohl die sexuelle Vereinigung) verlangt die Nymphe die Seele des über beide Ohren in ihr schönes Gesicht verliebten Björn. Sexualität und Tod, wenn das kein rotloderndes instrumentales Gedicht ergibt, das seine Faszination nicht zuletzt einer geschickten Anverwandlung der Tonsprache Richard Wagners verdankt. Rouvali lässt die Orchesterfarben aufreizend paradieren und parlieren, er breitet mit dem fabelhaft disponierten und technisch vorzüglichen Gothenburg Symphony Orchestra die Erzählstränge der makaber zauberischen Legende gefühlt greifbar vor uns aus.

Ein nicht minder bedrückendes Kolorit hält die „Valse triste“ aus der Suite „Kuolema“ bereit. Da erinnert sich eine sterbende Frau an ein feierliches Tanzfest aus jungen Tagen. Auch hier erweist sich Rouvali als Stimmungsmagier aus strenger Form.

Fazit: Neue Facetten, Gewichtungen und Klangwirkungen in einer jetzt schon als bedeutend zu deklarierenden Sibeliusexegese.

Dr. Ingobert Waltenberger

 

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