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CD JEAN-PHILIPPE RAMEAU „ZOROASTRE“ – Gesamteinspielung mit Jodie Devos, Véronique Gens, Reinoud van Mechelen, Tassis Christoyannis und Mathias Vidal; alpha

06.11.2022 | cd

CD JEAN-PHILIPPE RAMEAU „ZOROASTRE“ – Gesamteinspielung mit Jodie Devos, Véronique Gens, Reinoud van Mechelen, Tassis Christoyannis und Mathias Vidal; alpha

Wiederentdeckung der Urfassung von 1749

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Achtung: Hier müssen selbst die Alte-Musik Füchse aufpassen. Wer glaubt, mit der 2001 entstandenen Aufnahme von William Christie die Oper zu kennen, irrt sich. Die rekurriert nämlich auf die spätere Zoroastre-Fassung von 1756, die nach der teils üblen Kritik der ursprünglichen tragédie entstanden war. Rameau und sein Librettist Louis de Cahusac haben sodann ihr Werk derart grundlegend überarbeitet, dass eigentlich von zwei verschiedenen Opern gesprochen werden kann. Zumindest drei der fünf Akte erscheinen in völlig neuem Gewand.

Aus heutiger Sicht sind die Kritikpunkte des konservativen Teils des Publikums unverständlich und für die Wertschätzung der künstlerischen Substanz ganz und gar irrelevant. Damals ging es vor allem um Formales (Ersatz des üblichen Prologs durch eine programmatische Ouvertüre) und um das Sujet, die literarische Vorlage und weniger um die Musik. Man stieß sich daran, dass die Handlung der Oper nicht einen antikischen oder mittelalterlichen Hintergrund hatte, sondern aus der persischen Mythologie entnommen war.

Wir befinden uns in Baktrien, wo der monotheistische Zoroastrismus vor dem Aufkommen des Islam die offizielle Religion bildete. Das Grundverständnis dieses Glaubens einer unvergänglichen Seele und eines freien Willens mischte sich mit den Geboten der Freimauerei, als da sind die Anbetung der Sonne, der scharz-weiß Gegensatz von Gut und Böse, Licht und Finsternis oder Wissen und Unwissenheit. Daraus folgt, dass die Figuren der Oper streng in zwei strikte Kategorien fallen und damit zur Schablone erstarren. Benoît Dratwicki: „Abramane und Érinice sind also den heftigsten und finstersten Leidenschaften ausgeliefert, während Amélite und Zoroastre von Anfang bis Ende Großherzigkeit, Toleranz und Rechtschaffenheit an den Tag legen.“

Zoroastre enthält eine geraume Anzahl an moralischen, sozialen und philosophischen Desideraten wie die Gleichheit aller Menschen, die das Publikum gewaltig überforderten. Die obligate Liebesgeschichte war dem untergeordnet.

Alexis Kossenko hat in Zusammenarbeit mit dem Centre baroque de Versailles und seinem Ensemble Les Ambassadeurs also erstmals die schroffere, dafür innovativere Premierenversion aufgenommen. Hier gibt es zwischen den philosophischen Ergüssen kunstvolle Divertissement, flotte Tänze, expressive Pantomimen und Chöre. Vor allem der vierte in düsteren Katakomben angesiedelte Akt wartet mit unvergleichlichen musikalischen „Diablerien“ auf. Den wahren Höllensabbath mit hässlichen Dämonen, Schlangen, Blutopfern und Sühnetänzen, Verwünschungen und sonstigem Dolch-Brimborium hat Rameau mit allen Mitteln seiner dramatischen Kunst drastisch ausgekostet.

Wer sich für alle Details der Handlung interessiert, kann das im Internet oder im Booklet nachlesen. Auf jeden Fall siegt am Ende das Gute über die düsteren Mächte der Finsternis.

Zoroastre ist die vierte tragédie en musique des 66-jährigen Komponisten. Er setzt in dieser Oper alle Finessen seines hohen Künstlertums ein, um ein abwechslungsreiches und hochdramatisches Erlebnis zu sichern. Jeder Akt ist in einer eigenen musikalischen Sprache gehalten. Oboen, Hörner, Fagotte, Flöten und Trompeten werden originell und einfallsreich eingesetzt und so kombiniert, dass beispielsweise Sonnenaufgang oder brennende Wolken (2. Akt) eine ungeheure klangliche Plastizität erhalten.

Die Besetzung des Orchesters der Pariser Opéra in den 1750-er Jahren wurde rekonstruiert, ebenso wie die damalige Aufteilung „mit den Violinen in der Mitte des Orchesters, zwei Gruppen von Bässen auf jeder Seite, den Flöten vorne und einer Reihe von Fagotten und Bratschen; die den hinteren Teil des Orchesters säumen.“ Das Continuo war mit einem Cembalo, drei Celli und einem Kontrabass durchaus großzügig bestückt. Außerdem ist „Zoroastre“ die erste Partitur des gesamten französischen Opernrepertoires, in der Klarinetten zum Einsatz kommen.

Die Besetzung ist luxuriös und stilsicher: Die tragédienne, grande diva Véronique Gens als Érinice und der großartige griechische Bass Tassis Christoyannis als Abramane auf der dunklen Seite sowie der aufgehende Stern am Sopranopernhimmel, die belgische lyrische Sopranistin Jodie Devos als Amélite, und Reinoud Van Mechelen als Zoroastre – sie sind die Lichtgestalten des Werks. In weiteren Rollen überzeugen Mathias Vidal (Abénis, Orosmade, une furie), David Witczak (Zopire, Ahriman, un génie, la vengeance), Gwendoline Blondeel (Céphie, Cénide), Marine Lafdal-Franc (Zélise, une fée, une furie) sowie Thibault Lenaerts (une furie). Letzterer hat auch den Choeur de Chambre de Namur bestens für seine vielgestaltigen Aufgaben präpariert.

Dr. Ingobert Waltenberger

 

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