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CD JEAN-PHILIPPE RAMEAU „LES INDES GALANTES“ – La Chapelle Harmonique; Château de Versailles Spectacles

24.04.2021 | cd

CD JEAN-PHILIPPE RAMEAU „LES INDES GALANTES“ – La Chapelle Harmonique; Château de Versailles Spectacles

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Wie Anton Bruckner im Stift St. Florian, war Rameau lange Zeit Organist in Avignon, Clermont, Paris, Dijon und Lyon. Wie Bruckner war der französische Musiker ein ausgesprochener Spätzünder. Da ist aber schon Schluss mit den Ähnlichkeiten. Während Bruckner mit überwältigenden Symphonien seinen Platz in der Musikgeschichte sicherte, lag das Epizentrum von Rameaus Schaffen vor allem bei Opern (Tragédie-lyriques, Operá-ballets, Comédie-ballets, Comédies-lyriques und Pastorale héroiques), Motetten, Kantaten und Werken für Cembalo solo. Seine erste Oper „Hippolyte et Aricie“ schrieb er mit 51 Jahren. Zwei Jahre später, 1735, folgte das Opéra-ballet in einem Prolog und vier Entrées „Les Indes Galantes“. Auf dem vorliegenden Album ist die Version der Oper aus dem Jahr 1761 in einem Prolog und drei Aufzügen zu hören.

Da bekannt sein dürfte, dass Rameau einer frühen Ausbildungsreise nach Norditalien wegen auch musikalisch italienischen Einflüsse unterlag und dies zu einem heute nur noch akademisch relevanten Interessenskonflikt mit den konservativeren Lullisten führte, wollen wir uns gleich einmal die für heutige Verhältnisse abstrusen Handlungen näher ansehen. Das Opernballett besteht aus drei inhaltlich nicht miteinander verknüpften Episoden, die sich noch dazu auf unterschiedlichen Kontinenten abspielen.

Nach einem wie üblich den Göttern, hier Hébé und Bellone, samt ihren kriegerisch-amourösen Machenschaften vorbehaltenen Prolog (dem eine Allegorie zum polnischen Erbfolgekrieg zugrunde liegt), führt uns der erste Akt zu den Inkas nach Peru. Amor, auf der Flucht vor einem in Feindschaft zerfressenen Kontinent Europa, beschließt, auf einer Reise durch die Welt seine Gunst und Liebespfeile mittels einer Schar umherdüsender Amoretten woanders zu streuen, wo es mehr Frieden gibt.

In Peru lebt die schöne Prinzessin Phani, die den spanischen Offizier Don Carlos liebt. Und weil es sich für eine Oper gehört, ist auch der Sonnenpriester Huascar in Phani verschossen. Also löst er ein Erdbeben aus, damit Phani – um die Elemente wieder zum Schwiegen zu bringen – ihn zur Besänftigung der Naturgewalten heiratet. Natürlich ist die Zeremonie der Sonnenanbetung faszinierend, sogar Voltaire schwärmte davon. Aber der priesterliche Missbrauch fliegt auf und der verliebte Erdbebenentfessler lässt sich in Selbstmordabsicht von Asche und Stein des Vulkans begraben.

Im zweiten Aufzug befinden wir uns auf einer türkischen Insel im indische Ozean. In „Der großmütige Türke“ geht es um die vom Pascha Osman geliebte Sklavin Émilie, die aber ihrem fernen Valère treu bleibt. Von einem Sturm punktgenau ans richtige Ufer geschleudert, wird Valère von Émilie gefunden und überdies von Osman bei den Wiedersehensumarmungen beobachtet. Der türkische Herrscher verzeiht ihnen großmütig und gewährt Freiheit samt ausreichend Geschenken. Die beiden Turteltäubchen kehren selig in das Reich der Lilien zurück. Rein musikalisch geht es wenig exotisch zu. Die Mehrzahl der Divertissements bezieht sich auf die Musik der Provence, woher Émilie stammt.

Der dritte Akt („Die Wilden“) spielt in Amerika, in Lousiana. In der Zeremonie der Großen Friedenspfeife wird die Verbindung der Indianerin Zima mit ihrer ersten Liebe Adario besiegelt. Über die beiden nichtsnutzigen Rivalen, den libertären Franzosen Damon und den eifersüchtigen Spanier Don Alvar, konnte der ‚gute Wilde‘ entsprechend den Gesetzen der Aufklärung reüssieren. Der Akt endet mit einer Friedensfeier.

Rameaus „Les Indes Galantes“ ist eine exotische Oper im Jahrhundert der Aufklärung. Das Publikum der Académie Royal de Musique war sicher paff, als es die für einen Seesturm, einen feurigen Vulkanausbruch und eine federngeschmückte Folkloreszene voll eingesetzte Theatermaschinerie bewundern konnte. Das Opéra-ballet gefiel so sehr, dass es alleine in den nächsten zwei Jahren 64-mal aufgeführt wurde. Wiederaufnahmen gab es zudem in den Jahren 1743, 1751 und 1761.

La Chapelle Harmonique wurde 2017 vom heute 25-jährigen Dirigenten Valentin Tournet, der auch die vorliegende Einspielung leitet, als Zusammenschluss eines Chors und eines auf historischen Instrumenten spielenden Orchesters gegründet. Ihre erste CD war dem Magnifikat und Kantaten von J.S. Bach gewidmet. Der junge Dirigent hat bei Rameau Probleme, das komplexe rhythmische Geflecht der Partitur in geschmeidigem Fluss zu halten. Mir fehlt es zudem bei den großen Naturszenen an Akkuratesse und Zunder. Hingegen ist die Besetzung ohne Abstrich erstklassig und vermag in den Rezitativen als auch den hochvirtuosen Arien und Ensembles zu glänzen: Ana Quintas (Hébé, Zima), Emmanuele de Negri (Émilie, Phani), Julie Roset (Amour), Matthias Vidal (Valère, Don Carlos, Damon), Alexandre Duhamel (Huascar), Edwin Crossley-Mercer (Bellone, Don Alvar) und Guillaume Andrieux (Osman, Adario).

Dr. Ingobert Waltenberger

 

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