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CD JEAN-JOSEPH CASSANÉA DE MONDONVILLE „GRANDS MOTETS“ – Getan Jarry dirigiert den Chor und das Orchester Marguerite Louise; Château de Versailles Spectacles

14.05.2022 | cd

CD JEAN-JOSEPH CASSANÉA DE MONDONVILLE „GRANDS MOTETS“ – Getan Jarry dirigiert den Chor und das Orchester Marguerite Louise; Château de Versailles Spectacles

Zu Glorie Gottes und zur funkelnden Prachtentfaltung des französischen Königs

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Marguerite Louise, nach der das klangmundig aufgeigende Orchester des Organisten und Dirigenten Gaétan Jarry benannt ist, war ausnahmsweise einmal keine Aristokratin am Hofe der französischen Könige. Sie war eine berühmte Sängerin und Cousine von François Couperin. Marguerite Louise soll mit großer Leichtigkeit und wunderbarem Geschmack brilliert haben. So auch das Vokal- und Instrumentalensemble Marguerite Louise, das sich schon anlässlich seines Tonträgerdebuts 2015 mit der Kunstform der Motette befasst hat. Galt es damals den geistlichen Schöpfungen von Charpentier, so ist die vorliegende CD den Meisterwerken des Mondonville gewidmet. Er war von 1760 bis1772 Musiker der Chapelle du Roi.  

War es im 17. Jahrhundert noch das Wort Gottes und die Rezitation der heiligen Texte, die bei der Vertonung von Psalmen den Ton angaben, so verschob sich der Schwerpunkt im 18. Jahrhunderts allmählich hin zu einer emotionalen Verdichtung der poetischen Ausdruckskraft der Psalmen und der sinnlichen Seite des Glaubens. Wollt Ihr Beweise für die Existenz Gottes? Da habt Ihr sie, etwa mit den prächtigen Vertonungen der Texte „In Exitu Isarel“, „Dominus Regnavit“ und „Coeli Enarrant Gloriam Dei“ durch diesen Jean-Joseph Cassanéa de Mondonville. 17 Grands Motets“ hat er geschrieben, nur neun davon sind erhalten.

Natürlich waren es nicht nur die mit neuer Anmut und Grazie durchsetzen Einmischungen in das eigentlich schon veraltete hochbarocke Vehikel der doppelchörigen Motette, das zur Erbauung der Gläubigen wiederbelebt wurde, sondern mit den gloriosen Klanggemälden sollten gleichermaßen des Königs Ehre und Ruhm gestärkt werden. Es handelt sich um breit angelegte Konzertstücke, deren repräsentativer Charakter der Kathedrale wie der französischen höfischen Oper verpflichtet ist.

Mondonville war der erfolgreichste und meist gespielte Komponist im Concert spirituel. Im „Spectacles de Paris“ aus dem Jahr 1754 wurde der ‚perfekte Ausdruck‘ der Musik gerühmt, der – heute eigenartig klingend – „eine gleiche Wirkung auf ausländische und französische Ohren hervorrufen kann“. Kein Wunder, haben wir es doch tatsächlich mit musikalisch farbtriefenden Fresken zu tun, die der ‚Harmonie von Rubens Pinsel‘ (Mercure) in keiner Weise nachstehen.

Bildet die Kunst des Kontrapunkts mit komplexest fugierten Chorsätzen nach wie vor das Fundament von Mondonvilles kunstreichen Motetten-Partituren, so strotzt etwa „In Exitu Israel“ aus dem Jahr 1753 zusätzlich von überwältigenden lautmalerischen Effekten. Das Rauschen von Meer und Wellen oder das Beben der Erde hat Mondonville so realitätsnah in Klänge gewandelt, dass die Gläubigen in Massen herbeipilgerten, um diese wundersamen musikalischen Imitationen der Natur zu hören. Aber nicht nur das erwies sich als attraktiv und breitenwirksam: Manche Arien und einige Instrumentalsätze klingen durchaus irdisch opernhaft, virtuos verziert und auf menschliche Dimensionen heruntergebrochen.

Diese Art der Tonsetzung, die vornehmlich auf die höchste Expressivität und Wirkung der Musik bedacht war, fand nicht nur Bewunderer. Mondonville sah sich mit dem Vorwurf konfrontiert, die religiöse Dimension des Genres zu verwässern: Prunk und Laune statt spiritueller Einkehr. Natürlich spielte da auch die Politik eine Rolle. Im Zeitalter der französischen Aufklärung mit dem Heraufdämmern der revolutionären Katastrophe war die Repräsentation der königlichen Macht und ihre Abstützung durch kirchliche Institutionen ja alles andere als unbestritten. Auch die Musik blieb in diesem Streit nicht verschont. Traf es zuerst die Tragédie lyrique, so gerieten auch die „Grands Motets“ bald unter die Räder der Geschichte. So darf es nicht verwundern, dass es von den architektonisch so kathedralenhaften Motetten keine Druckfassung gibt und die handschriftlich überlieferten Partituren teils in mehreren Versionen vorliegen (z.B. vier von „Dominus Regnavit“). Leider ist der größte Teil seiner Vokalwerke verschollen.

Wir dürfen heute die hohe Kunst des Mondonville in der hinreißenden musikalischen Umsetzung dieses Albums vorbehaltslos bewundern. Mit der „Verschmelzung der musikalischen Stile seiner Zeit“ hat Mondonville musikalisch durchaus individuelle Wege beschritten, die dem Charakter seiner Musik abseits von seinem übermächtigen Zeitgenossen Rameau Form gaben.

Gaétan Jarry, der Choeur & orchestre Marguerite Loiuse und die Solisten Maïlys de Villoutreys (Sopran), Virginie Thomas (Sopran), Mathias Vidal (Haute-contre), François Joron (Bariton) und David Witczak (Bass) lassen die Musik in all ihrer Kunstfertigkeit, ihrer glänzenden Schönheit und theatralischen Wirkung Raum greifen. Das Album bildet ein weiteres Juwel in der Collection Château de Versailles Spectacles, in dem Stil, Virtuosität, vokaler Glanz, chorisches Miteinander und sprachliche Perfektion sich mit aufnahmetechnischer Brillanz zu genießerisch angerichteten Aufnahmen zusammentun.

Dr. Ingobert Waltenberger

 

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