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CD JEAN-BAPTISTE LULLY „PSYCHÉ“ .Tragédie lyrique in 5 Akten; Château de Versailles Spectacles

05.01.2023 | cd

CD JEAN-BAPTISTE LULLY „PSYCHÉ“ Tragédie lyrique in 5 Akten; Château de Versailles Spectacles

Von göttlicher Eifersucht, unsterblicher Schönheit und einer echten Traumverbindung

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Es geht um die zwei schönsten Frauen der Welt. Wir ahnen es schon. Das verheißt nichts Gutes, zumal die vermeintlich wegen ihrer Sterblichkeit Niedrigstehendere, dafür aber aufgrund ihrer Sichtbarkeit vom ganzen Erdenkreis Angeschmachtete einen immer größeren Verehrerkreis genießt. Wenn die sich zurückgesetzt fühlende göttliche Mama ihren in solchen Sachen kundigen Sohn Amor auf die Erde schickt, damit sich die allzu Wohlgeratene in den unwürdigsten aller Männer verliebt, dann ist Feuer am Dach. Denn dieser liebespfeilschnelle Sohnemann verfällt augenblicklich in Liebe zu der famosen Erdenfrau. Und wenn dann noch Venus vollkommen von der Rolle fällt, Schlangen schickt, um die Menschen ganzer Landstriche für ihren „schlechten Geschmack“ zu bestrafen, dann sind Lully und sein Librettist Thomas Corneille nicht weit. Weil ein besseres Opernsujet mit Liebe, Hölle, Giftmischerei, Tod und schreckerregenden Reisen in die Unterwelt findest du nicht.

Die Autoren haben auf die antike Erzählung ‘Amor und Psyche‘ aus der Sammlung „Der goldenen Esel oder Die Metamorphosen“ von Apuleius zurückgegriffen. Bei Lullys Oper handelt es sich genau genommen „bloß“ um eine Erweiterung der 1671 uraufgeführten Ballett-Tragödie „Psiché“ von Molière, Pierre Corneille und Philippe Quinault, zu der Lully die musikalischen Zwischenspiele zu komponieren die Ehre hatte.

Ludwig XIV. und seine Mätressen kommen bei der Entstehung auch noch mit ins Spiel. Die Marquise de Montespan war not amused über Lullys Vorgängeroper „Isis“ und deren Librettisten Philippe Quinault, weil sie sich mit der darin aufs Korn genommenen, von Jupiter betrogenen Juno, zu Recht identifiziert und so persönlich verhöhnt sah. Der umtriebige König hatte nämlich eine Zeit lang die schöne Marie-Elisabeth de Ludre der Montespan vorgezogen. Als Madame de Montespan wieder in ihr Recht als amtierende Mätresse eingesetzt war, verbot sie Quinault, künftig für Lully zu schreiben. Ja, auch so wird Kulturgeschichte geschrieben.

Lully fragte also Thomas Corneille, die sieben Jahre alte, gesprochene Tragikomödie „Psiché“, unterbrochen von Tänzen, akrobatischen Einlagen, Arien, Vokalensembles und Chören, wild gemixt in italienischer und französischer Sprache, zu einer großen Tragédie lyrique umzuarbeiten. Drei Wochen brauchte er für die neuen Verse, hielt sich aber großteils an die Vorlage, die Molière und Pierre Corneille angefertigt hatten. Thomas Corneille strich zwar die Rollen des Cléomène und Agénor, von Psyché abgewiesenen Verehrer, dafür machte er aus der Liebesgöttin Venus bühnenwirksam ein rachebesessenes Miststück. Sie will Psyché von der Schlange verschlingen lassen, die Schöne wird aber von den Zéphyren entführt. Wie im Lohengrin darf Psyché Amor keine Fragen stellen und nicht den Namen ihres überirdischen Lovers wissen. Und wieder funkt Venus dazwischen, schickt Psyché aus dem eingeäscherten Palais in die Unterwelt, um Proserpina einen Zaubertrank zu stehlen, der angeblich noch schöner macht.

Gesagt, getan. In den Gärten der Venus öffnet Psyché das Kästchen mit dem vermeintlichen Zaubertrank. Giftige Dämpfe töten die fürchterlich Betrogene. Merkur und Jupiter richten die Sache halbwegs, indem der Göttervater Psyché Unsterblichkeit verleiht und sie mit Amor vereint.

Insgesamt handelt es sich bei „Psyché“ um ein für Lully relativ untypisches Werk. „Es enthält nur wenige Chöre, der dritte Akt ist ohne Divertissement und der fünfte endet mit einem Ballett, in dem Polichinelles und Matassins auftreten, Figuren aus der Commedia dell’Arte, die man sich in einem Tragödienfinale kaum vorstellen kann.“ (Pascal Denécheau).

Rein musikalisch ist „Psyché“ des in Florenz geborenen Lully lyrischer ala andere vergleichbare Tragédies lyrique, nichtsdestotrotz ein einziges Fest. Nicht erst Richard Wagner arbeitete im „Rheingold“ lautmalerisch mit Geräuschen wie Hammer und Amboss. Lully charakterisierte so die Zyklopen zu Beginn des zweiten Akts. Eine ausdrucksstarke Chromatik, strukturierende Tonarten, raffinierte Modulationen, einfallsreiche Arien und wundersame Verzierungen bieten der Hörerschaft ein abwechslungsreiches Arsenal an musiktheatralischen Leuchtraketen.

Im Katalog gibt es bereits eine vorzügliche Gesamtaufnahme des höfisch-raffinierten Werks über die schöne Psyché aus den USA mit Carolyn Sampson, Karina Gauvin, Aaron Sheehan, Colin Balzer, Olivier Laquerre, Jason McStoots, Matthew Shaw, Jose Lemos, dem Boston Early Music Festival Orchestra, dem Boston Early Music Festival Chorus, unter der musikalischen Leitung von Paul O’Dette und Stephen Stubbs aus dem Jahr 2007 (cpo): Nun steht – ja selbst von ausgefallenstem Barockrepertoire gibt es immer mehr Opern, deren Ersteinspielung schon längere Zeit zurückliegt – eine ebenso vorzügliche, rein französische Aufnahme unter Christophe Rousset mit seinem Originalklangorchester Les Talents Lyriques zur Wahl.

Die Besetzung mit jeweils mehrere Rollen abdeckenden, Lully-geeichten Vokalisten – die Dessus Ambroisine Bré (Psyché, femme affligée), Deborah Cachet (Amour, Aglaure, Nymphis), Bénédicte Tauran (Vénus, Muse), Eugénie Lefebvre (Flore, Cidippe, Nymphes, Muse), die Hautes-contre Cyril Auvity (Vertumne, Amour jeune homme, Mercure), Dominique Bonnetain, Benoît Porcherot, die Tailles Robert Getchell (Vulcain, Homme affligé, Furie), Fabien Hyon (Palémon, Silène, Zéphire, Furie, Bacchus), Zachary Wilder (Apollon, Zéphire, Satyre), und die Basses-tailles Philippe Estèphe (Jupiter, Homme affligé, Satyre), Anas Séguin (Lucas, Le Roi, Momus, le Fleuve, Furie) und Matthieu Heim (Mars) – bildet ein stilistisch und musikalisch fest aufeinander eingeschworenes Team.

Christophe Rousset, dem wir bereits hochkarätige Einspielungen der Lully-Opern „Alceste“, „Phaeton“, „Armide“ sowie „Acis & Galatée“ verdanken, ist auch für „Psyché“ der aktuell bestmögliche musikalische Anwalt. Wer die trotz der Handlung verblüffend leichtfüßige, hochelegante Musik dieser Tragédie lyrique kennenlernen möchte, hat jetzt eine gute Gelegenheit dazu.

Der. Ingobert Waltenberger

 

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