CD JAVIER PERIANES spielt Klaviersonaten von DOMENICO SCARLATTI; harmonia mundi
Veröffentlichung: 22.8.2025
Nicht J.S. Bach, Händel oder Vivaldi sind die mich am intensivst ansprechenden Lieblingskomponisten der sog. „Alten Musik“, sondern Jean-Philippe Rameau, Domenico Scarlatti und Joseph Haydn.
Domenico hätte sicherlich auch als begabter Sohn seines berühmten Vaters Alessandro Scarlatti Aufmerksamkeit auf sich gezogen, aber seine im besten Sinne exzentrische Musik ist es, die mit ihren Überraschungseffekten und ihrem Witz für uns heute so außergewöhnlich attraktiv ist. Sein umfangreiches Oeuvre für Cembalo solo weiß um kecke Rhetorik, Originalität und exuberante Einfallsgabe. Trotz formal gleichbleibender Strickmuster sind nicht zuletzt höfische Delikatesse und didaktischer Hintersinn zu bestaunen.
Die wichtigsten Lebensstationen prägten Domenico Scarlattis Stilvielfalt. Ein gerissener Filou der Improvisation am Cembalo soll er gewesen sein. Nach Engagements beim spanischen Vizekönig in Neapel, in Florenz beim Prinzen Ferdinando de’ Medici, in Rom bei der exilierten polnischen Königin Maria Casimira Sobieska, an der Capella Giulia des Vatikans, beim portugiesischen Botschafter Marquês de Fontes in Rom übersiedelte Scarlatti nach Portugal und wurde Musiklehrer und Hofkapellmeister am Hofe von König Johann V.
Da lernte Domenico auch die portugiesische Prinzessin Maria Barbara de Bragança kennen. Eine Begegnung von zwei Geistesverwandten mit Folgen. Die hochkultivierte Adelige war offenbar selbst eine Musikerin von Gnaden sowie eine eifrige Schülerin am Cembalo. Als sie den spanischen Thronfolger Don Fernando von Asturien, der 1746 als Ferdinand VI. sein königliches Amt antrat, ehelichte, lebte Domenico Scarlatti von da an immer in ihrer Nähe in Spanien, wo auch immer der Hof gerade residierte. Im Escorial traf Domenico auf den Kastraten-Primouomo Farinelli, mit dem er von da an in enger Freundschaft verbunden war.
In dieser Zeit soll Domenico damit begonnen haben, 15 Jahre hindurch pro Woche eine Sonate für die privaten musikalischen Vergnügungen mit Maria Bárbara und Farinelli zu schreiben. Die leicht zu merkende Zahl von 555 Sonaten (Ralph Kirkpatrick) ist aufgrund neuer Forschungen längst nicht mehr gültig. Einerseits haben sich etliche bislang als echt geltende aufgrund der späteren Entstehung als Fakes herausgestellt, dafür sind andere hinzugekommen.
Wie auch immer, die Faszination der einsätzigen, formal zweigeteilten Sonaten, ob nun auf dem Cembalo oder einem modernen Flügel gespielt, rührt von der charmant verspielten, nicht selten die Romantik eines Chopin vorwegnehmenden Melodik, spannenden repetitiven Mustern (à la Minimal Music), temperamentvollen spanischen Tanzrhythmen und der Art und Weise, wie Scarlatti den Hörer mit unerwarteten harmonischen, motivischen und atmosphärischen Volten, allesamt Ausfluss einer immensen produktiven Kreativität, überrumpelt.
Bisher haben mich Andreas Staier mit seinen großartigen Aufnahmen der 80-er und 90-er Jahre sowie unter den jüngeren Interpreten der Franzose Lucas Debargue mit seiner fulminanten 52 Sonaten umfassenden Box (Sony) überzeugt. Beide haben das Cembalo als Instrument gewählt, das – wie ich finde – vor allem die virtuosen Effekte, die Rasanz und den Detailreichtum der pianistischen Miniaturen unterstreicht.
Der spanische Pianist Javier Perianes legt nun sein persönliches Scarlatti-Album vor. Auf einem aktuellen Steinway gespielt, kommen wiederum ganz andere Vorzüge der Musik zur Geltung. 15 der bekannteren Stücke hat sich Perianes ausgesucht. Er bringt hier Ausdrucks- und Klangskalen ein, die besonders der Rhetorik, den Modulationsfantasien, den beabsichtigten Regelbrüchen bzw. dem feinst kalibrierten emotionalen Ausdruck der Stücke auf den Zahn fühlen. Ob klassizistische (K. 193, 386, 491-492), harmonische Extravaganzen, Grenzbereiche an Dynamik und Tempo auskostende (K. 125, 128, 447-448) oder einfacher konzipierte Sonaten (K. 462, 466), Javier Perianes weiß die Hörerschaft mit seiner Anschlagskunst und seinem mediterranen Temperament geschickt abzuholen. Wo Romantik oder impressionistische Klangwirkungen drinstecken, holt Perianes sie auch heraus.
Dazu ist Perianes technisch, was Sprünge, Arpeggien, Repetitionen und die Gestaltung von Tongirlanden in feurigem Tempo anlangt, souverän.
Prädikat: Höchst vergnüglich!
Dr. Ingobert Waltenberger