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CD JACQUES OFFENBACH: LA PRINCESSE DE TRÉBIZONDE – erste Studio-Gesamteinspielung der Pariser Version vom 7.12.1869; Opera Rara

01.11.2023 | cd

CD JACQUES OFFENBACH: LA PRINCESSE DE TRÉBIZONDE – erste Studio-Gesamteinspielung der Pariser Version vom 7.12.1869; Opera Rara

Bonus: Sieben Ausschnitte der Urversion aus Baden-Baden vom 31.7.1869

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Die ‚Prinzessin von Trébizonde‘ ist nichts anders als eine hübsche Wachsfigur, Hauptanziehungspunkt des Wachsfigurenkabinetts des Schaustellerclanchefs Cabriolo, der mit seiner Schwester Paola, seinen Töchtern Regina und Zanetta und den in Regina vernarrten Ex-Diener Tremolini als Akrobaten und Jongleure durch die Lande tingelte. Wie fatal, dass Zanetta beim Abstauben der musealen Prinzessin deren Näschen brach. Also blieb ihr nichts anders übrig, als in die Kleider der Wächsernen zu schlüpfen und diese zu mimen, um die Attraktion ohne Aufsehen zu retten.  

Genau in dem Zustand verliebte sich der schräge wie offenbar stark kurzsichtige Prinz Raphaël in la Princesse alias Zanetta. Da der junge Aristokrat statt dem Eintrittsgeld das Los mit der Nummer 1313 in den Korb geworfen hat und das Los gewann, war die Truppe auf einmal im Besitz eines Schlosses, feudaler Ländereien und Geld, also eines immensen Reichtums. Allerdings war diesen „Nouveaux Riches“ schon nach ein paar Monaten unerträglich fade und sie sehnten sich nach ihrem aufregenden Zirkusleben zurück. Gott sei Dank riss Raphaël jagdchormusikbegleitet die so Gelangweilten aus ihrer Tristesse, indem er seinen Vater Casimir überredete, das ganze Wachsfigurenkabinett inklusive der heiß begehrten (falschen) Prinzessin zur höheren Lust des kapriziösen Sohns zu erstehen.

Mittels vorgetäuschter heftiger Zahnschmerzen von der nächtlichen Jagd befreit, schmiss dieser Raphael eine wilde Party. Nach der Rückkehr des furios tobenden Casimir kam Alles an Tageslicht: Raphaël durfte Zanetta heiraten, schließlich gestand Casimir, dass er selbst mit einer Schaustellerin – zufällig die Schwester der Paola und des Cabriolo – verheiratet war. Eine Tripelhochzeit ‚Allons! Mariez-vous tous!‘ beschließt das Stück.

Charles Nuitter (hat auch am Libretto zu „Coppélia ou La Fille aux yeux d’émail“ für Léo Delibes Ballett von 1870 mitgewirkt, wo es auch um eine „lebendige“ Puppe geht, als Swanilde den Platz von Coppélia einnimmt) und Étienne Tréfeu haben in ihrem Textbuch alle Gelegenheit für freche bis abstruse Augenblickskomik in lichthumoriger Opéra-bouffe Manier genutzt. Offenbach hat von Baden-Baden aus, wo er seiner Leidenschaft zum Glücksspiel huldigte, entscheidend an den Gags mitgebastelt. Obwohl der Auftrag zu dieser spritzigen Komödie von Aimé-Isidore Briguiboul, seinesgleichen Direktor des Casinos von Bad Ems, wo Offenbach ansonsten gerne kurte, kam. Was wiederum nahelegt zu überlegen, was die Welt der Oper offenbar alles Roulettetischen verdankt!

Und so toben sich jähzornige bzw. partylüsterne Adelige mit Fake-Zahnschmerzen, die von einer Frau imitierte durchlauchtigste Wachspuppe und zu aberwitzig viel Geld gekommene Gaukler gehörig im Dreivierteltakt und flotteren Rhythmen aus. Offenbach konnte solche in seine harmonisch so charakteristischen, tempo- und sprachlich beinahe dadaistischen Chöre, Couplets, Chansons, Romanzen, Duette, Rondos und Ensembles ummünzen.

Die renommierte Truppe der Bouffes Parisiens hatte die Uraufführung in Baden- Baden unter der musikalischen Leitung des Komponisten am 31.7.1869 erfolg- und applausreich bestritten. Im Publikum tummelten sich etliche gekrönte Häupter und viel Prominenz. Auch die berühmte Kurtisane Valtesse de La Bigne, lauschte den Klängen der amüsanten Operette, was Madame Offenbach dem Vernehmen nach nicht goutiert haben soll. Ein Schelm, wer Böses darüber denkt.

Und obwohl Blavet in Le Figaro urteilte, dass Offenbach, wenn er am Tag des Jüngsten Gerichts “Orphée“ in der einen, in der anderen „La Princesse de Trébizonde“ halten werde, sicherlich zu Gottes Chorchef ernannt würde, sah das der Komponist anders. Offenbach plante umfangreiche Änderungen, sodass die Pariser Premiere in den Dezember hinein verlegt werden musste. So wurden alle Nummern, die Offenbach der eigenen Buffa „La Baguette“ entlieh, gestrichen, andere komplett umgearbeitet.

Wie auch immer, dem musikalisch außerordentlich fixen und unterhaltsamen Werk war auch in Paris ein großer Erfolg beschieden. Wäre da nicht der deutsch-französische Krieg 1870/71 dazwischengekommen, wäre der Zuspruch logischerweise ungebrochen perpetuiert worden. Offenbach wurde , hélas, trotz seines bis dahin 15-jährigen Wirkens in Frankreich auf einmal als Preuße befunden und die Stimmung in Paris kippte bei der Wiederaufnahme zu Saisonbeginn, eine Lage, die sich nach Abkühlung der Gemüter rasch wieder zu beruhigen begann. Wir sehen, die außerkünstlerischen Auswirkungen von Krieg auf die Rezeption von Kunst und insbesondere auf die emotionale Zuträglichkeit von Musik, ist auch nichts Neues.

Auf die komplexe Quellenlage näher einzugehen, würde den Rahmen der Besprechung sprengen, ich möchte hier auf den englischsprachigen Aufsatz von Jean-Christophe Keck im Booklet verweisen. Aber auf jeden Fall sind die bisher unveröffentlichten und vorhandenen Nummern der Baden- Badener Uraufführung als Appendix der Aufnahme zugänglich. Obwohl die Operette in der Pariser Version, die anschließend auch in Wien gespielt wurde, eine dramaturgisch wohl geratene Balance aufweist, sind es nicht zuletzt die sieben Striche u.a. mit einer Geburtstagsszene, einem „Pardon-Papa“ Couplet der Zanetta, dem entzückenden Quartett ‚Oh les belles femmes‘ und dem die Vorzüge einer Melone aufs Korn nehmenden Trio ‚Que c’est bon le melon‘, die erstklassigen Offenbach vorstellen.

Die Besetzung mit dem sanft beweglichen lyrischen Sopran der Anne-Catherine Gillet als Cabriolos Tochter und Wachsfigurenersatz Zanetta, der glutvollen Mezzosopranistin Virginie Verrez in der dankbaren Hosenrolle des exzentrischen Prinz Raphaël, von Antoinette Dennefeld als Regine und Katia Ledoux als Paola agiert sowohl in ihren Soli charaktervoll spitzig als auch den Ensembleszenen harmonisch aufeinander abgestimmt. Besonders entzücken das Duett von Raphael und Zanetta ‚La voilà‘ im zweiten Akt als auch das große Finale I. Besonders schönstimmig geht es bei den Herren zu: Christopher Gay als Cabriolo, Christophe Mortagne als Tremolini und vor allem der schmelzreich schmachtende Josh Lovell als Prinz Casimir, eigentlich widerlicher Vater von Prinz Raphaël, singt bis in die nougatduftigen Höhen eigentlich zu schön, um wahr oder rollenadäquat zu sein. Aber was soll‘s. kann zu hinreißend gesungen werden?

Paul Daniel dirigiert das London Philharmonic Orchestra mit romantischer Beseeltheit in der Ouvertüre und den beiden Zwischenaktmusiken, weiß aber bei aller Präzision in den repetitiv moussierenden Ensembles das typisch Offenbach‘sche Brio mächtig anzuheizen. Ale Solistinnen und Solisten reüssieren auch in den rein gesprochenen Dialogen mit Sprachwitz und Tempo, nur der kanadische Tenor Josh Lovell als Prinz Casimir lässt sich in den gesprochenen Passagen von Christophe Mortagne doubeln.

Dr. Ingobert Waltenberger

 

 

 

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